07. März 2023 | Analyse zweier Handlungstexte des Synodalforums IV
Autor: Michael Karger
Quelle: Erstveröffentlichung
In einem Antwortbrief an die Kardinäle Parolin, Ladaria und Quellet hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing (23. Februar 2023) auf die römische Weisung, dass weder auf nationaler, diözesaner noch pfarrlicher Ebene die Einrichtung von Synodalen Räten erlaubt sei, reagiert. Darin wird suggeriert, dass die Einrichtung des nationalen „Synodalen Ausschusses”, der bereits lange geplant war, eine Reaktion auf die Einsprüche sei. Der „Zwischenschritt des Synodalen Ausschusses, der ganz in Einklang mit unseren Vorgaben steht”, bedeutet aber in Wahrheit, dass so schnell wie möglich weitere Fakten geschaffen werden sollen. Als Signal für den Synodalen Weg heißt dies: Weiter wie bisher. Rom werden Gespräche zu den Themen des deutschen Sonderweges angeboten.
Besondere Beachtung verdienen zwei sogenannte „Handlungstexte”, die auf der Vollversammlung zur Zweiten Lesung anstehen. Es sind die Beschlussvorlagen „Segensfeiern für Paare, die sich lieben” und „Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt”. Die Bischöfe werden aufgefordert, „Segensfeiern von Paaren, die sich lieben, denen aber die sakramentale Ehe nicht zugänglich ist (…) offiziell zu ermöglichen”. Diese Segnungen werden auch für „gleichgeschlechtliche Paare auf der Basis einer Neubewertung von Homosexualität als Normvariante menschlicher Sexualität” gefordert. Auch „ungetaufte Paare”, die „nach Segnungen fragen”, sollten nicht abgewiesen werden. Ohne auf die Argumente einzugehen, wird das römische „Responsum ad dubium” des Dikasteriums für die Glaubenslehre zu dieser Frage (22. Februar 2021) abgelehnt, weil die diesem Dokument zugrundeliegende „Sicht auf Homosexualität vielerorts als nicht ausreichend angesehen wird.” Es brauche hier eine „theologische Weiterentwicklung”. Bereits jetzt würden in vielen Ortskirchen Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare aus Gewissensgründen vorgenommen. „Diese Situation der Unklarheit und Uneinheitlichkeit” werde mit einem nationalen synodalen Beschluss nun „geklärt, gesichert und liturgisch geordnet.”
Faktisch erklärt sich die Synodalversammlung zum neuen kirchliche Lehramt
Faktisch erklärt sich damit die Synodalversammlung zum neuen kirchliche Lehramt. Es zeigt sich auch bereits von einer äußerst autoritären Seite. Denn wer der synodalen Lehrmeinung nicht folgt, wird moralisch abgeurteilt und „exkommuniziert”: „Die Weigerung, die Beziehung zweier Menschen zu segnen, die ihre Partnerschaft in Liebe, Verbindlichkeit und Verantwortung zu Gott leben wollen, erweist sich in einer Gesellschaft, die Menschenwürde und freie Selbstbestimmung als Maxime moralischer Normierung errungen hat, als unbarmherzig und diskriminierend”. Oberste Kriterien sind hier die Akzeptanz der Kirche in der modernen Welt und die Lehre von der völligen Autonomie des Menschen.
Abschließend erfahren die kirchlichen Sakramentalien, zu denen die Segnungen gehören, eine neue und funktionale Deutung. Sie bieten der Kirche scheinbar die Gelegenheit, ihre bisherige Auffassung von sakramentaler Ehe und Geschlechtlichkeit zu umgehen und zu bereuen: „Häufig haben gleichgeschlechtliche Paare und wiederverheiratete Paare in unserer Kirche Ausgrenzung und Abwertung erfahren. Die Möglichkeit, ihre Partnerschaft öffentlich unter den Segen Gottes zu stellen, macht diese Erfahrung nicht wett. Sie bietet der Kirche aber die Chance, der in diesen Beziehungen vorhandenen Liebe und den gelebten Werten nunmehr Wertschätzung entgegenzubringen und so um Vergebung zu bitten und Versöhnung zu ermöglichen”.
Vorurteilsfrei betrachtet, sind die beiden Argumente des römischen Schreibens nachvollziehbar. Zunächst wird schöpfungstheologisch festgestellt, dass „die zu segnende Wirklichkeit objektiv darauf hingeordnet ist, die Gnade zu empfangen und auszudrücken und zwar im Dienst der Pläne Gottes, die in der Schöpfung eingeschrieben und von Christus dem Herrn vollständig offenbart“ wurden. Im zweiten Argument geht es um die sakramentale Ehe, die nicht nur ein Sonderfall – oder Auslaufmodell? – ist, weshalb jede Analogie mit dem Trauungssegen, „der auf Mann und Frau herabgerufen wird, die sich im Sakrament der Ehe vereinigen”, zu vermeiden ist. Es sei keine Rechtfertigung dafür vorhanden, „zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinne”.
Konsequenterweise fordert der Handlungstext „Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt” faktisch die Preisgabe der Schöpfungslehre und damit der in der Offenbarung grundgelegten Einheit von Anthropologie, Gnaden- und Sakramentenlehre, einschließlich Sittenlehre. Aus der These „Trans- und Intergeschlechtlichkeit sind Realitäten” wird gefolgert: „Trans- und intergeschlechtliche Personen sind Teil Gottes guter Schöpfung und haben Teil an der unantastbaren Würde des gottebenbildlich geschaffenen Menschen”. Ziel ist die kirchliche „Anerkennung der Vielfalt menschlicher Existenzweisen auch in Bezug auf das Geschlecht”. Darum gelte es, die „normativ naturrechtspositivistische Geschlechteranthropologie und ihre Legitimation durch Rekurs auf biblische Schöpfungstexte zu überprüfen”, sprich über Bord zu werfen. Dies wird sogleich mit einer moralistischen Gesinnungskontrolle verbunden: „Die Abwertung trans- und intergeschlechtlicher Menschen insbesondere durch die Unterstellung einer ’Gender-Ideologie’ ist zu unterbinden”.
Mit der geforderten Leugnung der Geschlechterdifferenz als einer natürlichen Vorgabe wird das Schöpfungswerk Gottes in Frage gestellt
In der Zweiheit von Mann und Frau bildet Gott sich selbst in seiner Schöpfung ab. So sind die beiden Geschlechter Ausdruck der Beziehung in Gott selbst. Hier haben die grundlegenden interpersonalen Personvollzüge Gespräch, Antwort, Austausch, Anerkennung und Liebe ihren Ursprung. Gott ist in sich selbst polar,
was sich in den beiden Geschlechtern abbildet. Mit der hier geforderten Leugnung der Geschlechterdifferenz als einer natürlichen Vorgabe wird das Schöpfungswerk Gottes selbst in Frage gestellt. Dies kann nicht gutgeheißen werden. Die Polarität von Mann und Frau ist bei gleicher Würde etwas fundamental anderes als die Spiegelung eines Mannes in einem anderen Mann und einer Frau in einer anderen Frau. Bis hierher hat der moderne Autonomiegedanke geführt: Die natürliche Vorgabe des biologischen Geschlechts soll variabel gestaltet werden. Die individuelle Geschlechtsbestimmung als Teil der Selbstbestimmung geht Staat und Kirche nichts an. Es gibt nur noch fließende Identitäten. Personsein als Mann oder Frau in der jeweiligen leibseelischen Einheit ist die Weise, wie ich von Gott als sein Geschöpf zur Antwort gerufen werde. Daran vorbei ist keine Antwort möglich.
Mit der Leugnung einer Natur des Menschen in der Bipolarität von Mann und Frau wird auch das Selbstverständnis des Menschen als sittliche Person zerstört
Mit der geforderten Abschaffung der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen durch Synodenbeschluss verfällt man dem Spiritualismus, der die Leib-Seele-Einheit prinzipiell leugnet. Mit der Leugnung einer Natur des Menschen in der Bipolarität von Mann und Frau wird auch das Selbstverständnis des Menschen als sittliche Person zerstört. Für die Ablehnung etwa von Polyamorie („Liebesbeziehungen mit mehreren Menschen”) oder Geschwisterinzest gibt es nach der völligen Emanzipation von jedem Bezug auf das Natürliche kaum noch eine Rechtfertigung.
Es gibt sehr zu denken, dass die katholische Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ihr Mandat als Synodalin vor der fünften Vollversammlung niedergelegt hat. Zu ihrem denkerischen Lebenswerk gehört die grundlegende Erschließung der hier angedeuteten Glaubenswahrheit von der Abbildung der Liebesgemeinschaft in Gott durch die menschliche Liebesgemeinschaft von Mann und Frau. Es ist für die Kirche in Deutschland beschämend, dass sie der positiv formulierten Verteidigung der Geschlechterdifferenz durch eine herausragende christliche Denkerin keinerlei Raum zu geben bereit war. Daraus hätte ein wegweisender Beitrag auch für die Weltsynode werden können.