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24. August 2021 | Vollmacht und Verantwortung - Thesen zur Kirchenreform

Prof. Dr. Marianne Schlosser, Alina Oehler, Weihbischof Florian Wörner, Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken | Download Dokument


Autor: Prof. Dr. Marianne Schlosser, Alina Oehler, Weihbischof Florian Wörner, Stadtdechant Dr. Wolfgang Picken
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Bislang unveröffentlicht

I. Die Herausforderung

Die katholische Kirche verliert in Deutschland massiv an Bedeutung und Attraktivität. 2019 traten über 270 000 Menschen aus. Nirgendwo zeigt sich der Schwund dabei so deutlich wie bei den Sakramenten. Schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie betrug die Zahl der Messbesucher bundesweit nur noch rund 9 %. Etwa 40 000 Gläubige ließen sich 2019 kirchlich trauen - im Jahr 2000 waren es noch über 60 000.[1] Auch der Nachwuchs an Priestern ist über die letzten Jahre massiv eingebrochen, die Zahl der Neugeweihten sank in den letzten 20 Jahren um mehr als 60 %.[2]

Dies sind Zahlen, die schockieren müssen. Geht die Entwicklung in diesem Tempo weiter, dann steht die Kirche, wie wir sie hierzulande bisher kennen, in ein paar Jahrzehnten vor dem Aus. Der Rückzug der Gläubigen wirft Fragen auf: Was hat die Menschen weggetrieben? Was hält sie fern? Wie kann das Evangelium sie erreichen und begeistern?

Ein Faktor für den Niedergang ist der Vertrauensverlust in die Kirche als Institution. Die Missbrauchsskandale waren für viele Menschen der Anlass zu gehen. Der Synodale Weg setzt hier an. Er wurde nicht zuletzt mit dem Ziel begonnen, die Ursachen für die Missbrauchskrise und das Versagen der Kirche im Umgang mit ihr zu ergründen sowie nötige Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Die Kirche muss dieses Thema sehr ernst nehmen und sich den drängenden Fragen stellen. Aber sie kann dies nur auf der Basis dessen tun, was nach katholischem Glauben ihr Wesen ausmacht. Situationen der Krise rufen alle Glieder der Kirche dazu auf, neu zu entdecken, was sie von Christus her ist, und mehr zu werden, was sie nach seinem Willen sein soll.

Ziel muss es sein, dass nach außen wieder deutlich wird, dass sich trotz aller menschlichen Fehlbarkeiten Gott in der Kirche finden lässt, der das Gute für alle Menschen will, der in seinem Sohn Jesus Christus Mensch wurde und sich bis zum Tod am Kreuz den Menschen zugewandt hat, der auferstanden ist und ewiges Leben verheißen hat, dessen Liebe in den Sakramenten begegnet und heilt.

Um dieses Ziel zu erreichen, sind der Umgang mit amtlicher Vollmacht in der Kirche zu überdenken und Möglichkeiten vertiefter Partizipation aller Getauften im Rahmen kirchlicher Synodalität zu erschließen. Wir wollen konkrete Schritte für Reformen skizzieren, die in Treue zum Glauben der Kirche und in Entsprechung zu ihrer Rechtsordnung umgesetzt werden können, die aber ebenso erkennen lassen, dass Anfragen, die aus der Gesellschaft an die Kirche herangetragen werden, ernst genommen werden.

Der Blick auf die Strukturen darf nicht den Blick von Gott weglenken. „Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist, ohne ,Treue der Kirche gegenüber ihrer eigenen Berufung‘ wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben“, schreibt Papst Franziskus.[3] Aber zugleich ist strukturelle Erneuerung angesichts sichtbarer Mängel geboten. Wo Fehler sind, müssen sie verbessert werden. Wo blinde Flecken herrschen, die Missbrauch begünstigt haben, müssen sie benannt und korrigiert werden. Wo Partizipation dem Wesen der kirchlichen Gemeinschaft entspricht, muss sie ermöglicht werden, ohne Wenn und Aber.

Nur so kann die Frohe Botschaft wieder erstrahlen und wird jeder Getaufte gerne „aktiver Träger der Evangelisierung“ sein[4]. Nur so können Kleriker und Laien in ihrer je eigenen Sendung als „Apostel seiner Liebe“ (hl. Vinzenz Pallotti) in der Welt wirken.

Dafür setzt sich der folgende Text ein.

 


 

II. Vollmacht und sakramentales Amt in der Kirche

 

Der Ausgangspunkt: Wesen und Sendung der Kirche

1. Was ist die Kirche? Von dieser einfachen Frage hängt viel ab. Die Was-Frage ist die Wesensfrage. Ihre Beantwortung entscheidet darüber, wie man auf die Kirche blickt: auf Notwendigkeit und Zweck ihrer Existenz, auf ihre Ämter und Strukturen. Und auch auf Schuld und Versagen in der Kirche, in deren Gefolge Diskussionen über Begründung, Verteilung und Ausübung kirchlicher Macht unausweichlich geworden sind.

2. Wenn man wissen will, was die Kirche ist, muss man wissen, woher sie kommt. „Das Geheimnis der heiligen Kirche wird in ihrer Gründung offenbar“, lehrt das Zweite Vatikanische Konzil (LG 5). Der Katechismus der Katholischen Kirche präzisiert dieses Prinzip in der Aussage, dass die Kirche „ihren Ursprung im Ratschluss der heiligsten Dreifaltigkeit“ besitzt (KKK 758).

Die Kirche, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil versteht, ist mehr als eine von vielen Institutionen innerhalb der Gesellschaft. Sie geht aus dem inneren Leben Gottes selbst hervor, der sich als dreieiniger aus Liebe in die geschaffene Welt hinein mitteilt. Die Kirchenkonstitution Lumen gentium entfaltet diesen Gedanken bereits in ihren ersten Paragraphen (vgl. LG 2-4). Gott, der Vater, hat gewollt, dass alle Menschen an der Fülle des göttlichen Lebens Anteil erhalten. Um den Plan seiner Liebe, der mit der Schöpfung beginnt, zu vollenden, wendet er sich den Menschen zu, erwählt sich ein Volk und schließt einen Bund mit ihm. Durch sein Wort und seinen Geist ist er von Anfang an in der Geschichte der Menschheit am Werk, in besonderer Weise in der Geschichte des Volkes Israel. Höhepunkt der Selbstmitteilung Gottes ist die sichtbare Sendung seines ewigen Wortes, das als Mensch in die Welt kommt. Die unsichtbare Sendung des Heiligen Geistes bewegt die Menschen, ihre Herzen für dieses Wort zu öffnen. Der Geist befähigt sie, in Glaube, Hoffnung und Liebe, Kinder Gottes im Sohn Jesus Christus zu werden. Er führt die in der Welt Verstreuten als Glieder eines einzigen geistlichen Leibes zusammen. Dieser Leib, dessen Haupt Christus und dessen Seele der Heilige Geist ist, ist die Kirche. In ihr sollen alle Menschen unter der Königsherrschaft Gottes verbunden und auf den Weg der Vollendung in sein ewiges Reich geführt werden.

Jesus selbst hat in der Stunde seines Leidens gebetet, dass »alle eins seien« (Joh 17,21). (…) Gott will die Kirche, weil er die Einheit will und in der Einheit die ganze Tiefe seiner agape zum Ausdruck kommt. Denn diese vom Heiligen Geist geschenkte Einheit besteht nicht bloß in einer Ansammlung von Personen, die sich zu einer Summe addieren. Es ist eine Einheit, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der hierarchischen Leitung und Gemeinschaft gebildet wird. Die Gläubigen sind eins, weil sie sich im Geist in der Gemeinschaft des Sohnes und in ihm in seiner Gemeinschaft mit dem Vater befinden: »Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus« (1 Joh 1,3). Für die katholische Kirche ist daher die Gemeinschaft der Christen nichts anderes als das Offenbarwerden der Gnade an ihnen, durch die Gott sie zu Teilhabern an seiner eigenen Gemeinschaft macht, die sein ewiges Leben ist. Die Worte Christi, dass »alle eins seien«, sind also das Gebet an den Vater, damit sich sein Plan voll erfülle, auf dass allen enthüllt werde, »wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war« (Eph 3,9). An Christus glauben heißt, die Einheit wollen; die Einheit wollen heißt, die Kirche wollen; die Kirche wollen heißt, die Gnadengemeinschaft wollen, die dem Plan des Vaters von Ewigkeit her entspricht.

Johannes Paul II, Enzyklika Ut unum sint (25.05.1995), n. 9.

Wenn Gott dialogische Einheit ist, Substanz in Relation, so spiegelt der Mensch, der nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen ist, diese Konstitution wider: er ist daher dazu berufen, sich im Dialog, im Gespräch, in der Begegnung zu verwirklichen: er ist ein Wesen, das in Beziehung zu anderen steht. Jesus hat uns im Besonderen offenbart, dass der Mensch wesentlich »Sohn« ist, ein Geschöpf, das in der Beziehung mit Gottvater und somit in Beziehung mit all seinen Brüdern und Schwestern lebt. Der Mensch verwirklicht sich nicht in einer absoluten Autonomie, indem er sich der Illusion hingibt, Gott zu sein, sondern indem er sich im Gegenteil als Sohn erkennt, als offenes Geschöpf, das auf Gott und die Brüder ausgerichtet ist, in deren Antlitz er das Bild des gemeinsamen Vaters wiederfindet. (…)

In einer Gesellschaft, die im Spannungsfeld von Globalisierung und Individualismus steht, ist die Kirche dazu aufgerufen, das Zeugnis der »koinonia«, der Gemeinschaft anzubieten. Diese Wirklichkeit kommt nicht »von unten«, sondern sie ist ein Geheimnis, das seine »Wurzeln« sozusagen »im Himmel« hat: gerade im einen und dreifaltigen Gott. Er ist in sich selbst der ewige Dialog der Liebe, der sich uns in Jesus Christus mitgeteilt hat, der in das Gewebe der Menschheit und der Geschichte eingetreten ist, um sie zur Fülle zu führen. So sehen wir also die große Synthese des II. Vatikanischen Konzils: die Kirche, Geheimnis der Gemeinschaft, »ist in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (Lumen gentium, 1).

Benedikt XVI., Predigt bei der Eucharistiefeier in Genua (18.05.2008)

 

 

Christus, Sakrament Gottes in der Welt

3. Weil im Zentrum der Zuwendung des dreifaltigen Gottes zur Welt die Menschwerdung des Sohnes steht, ist das Geheimnis der Kirche in besonderer Weise vom Geheimnis Jesu Christi her zu verstehen. In Anknüpfung an ein tief in der griechischen Vätertheologie wurzelndes Motiv, das Thomas von Aquin im Mittelalter weitergeführt hat, ist der menschgewordene Christus in der Theologie seit dem 19. Jahrhundert als Sakrament Gottes in der Welt bezeichnet worden. Sakramente sind sichtbare und wirksame Zeichen (Realsymbole) für eine geistliche Realität. So ist der Mensch Jesus von Nazareth Ikone des unsichtbaren Gottes in der Welt, realisierendes Zeichen des göttlichen Heilswillens in der Geschichte. In den menschlichen Worten und Taten Jesu spricht der verborgene Gott zu den Menschen, macht sich für sie leiblich berührbar, bietet ihnen seine Nähe und Gemeinschaft an. Das Leben, das der inkarnierte Sohn in tiefster Verbundenheit mit seinem himmlischen Vater führt und das in seiner Selbsthingabe am Kreuz gipfelt, ist Ausdruck der grenzenlosen Liebe Gottes und Erschließung seines innersten Wesens.

»Niemand hat Gott je gesehen«, schreibt der heilige Johannes, um jener Wahrheit besonderen Nachdruck zu verleihen, dass »Er, der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, (ihn) kundgemacht hat« [Joh 1,18]. Diese »Kundmachung« offenbart Gott im unauslotbaren Geheimnis seines einen und dreifaltigen Seins, das von »unzugänglichem Licht« [1 Tim 6,16] umgeben ist. Doch erkennen wir Gott durch die »Kundmachung« Christi vor allem in seiner liebenden Zuwendung zum Menschen, in seiner »Menschen-Freundlichkeit« [«Phil-anthropía»: Tit 3,4]. Gerade hier wird seine »unsichtbare Wirklichkeit« auf besondere Weise »sichtbar« in unvergleichlich höherem Maß als durch all seine anderen »Werke«: sie wird sichtbar in Christus und durch Christus, durch seine Taten und seine Worte und schließlich durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung.

Johannes Paul II., Enzyklika Dives in misericordia (30.11.1980), n. 2

Das eigentlich Neue des Neuen Testaments sind nicht neue Ideen, sondern die Gestalt Christi selber, der den Gedanken Fleisch und Blut einen unerhörten Realismus gibt. Schon im Alten Testament besteht das biblisch Neue nicht einfach in Gedanken, sondern in dem unerwarteten und in gewisser Hinsicht unerhörten Handeln Gottes. Dieses Handeln Gottes nimmt seine dramatische Form nun darin an, dass Gott in Jesus Christus selbst dem ,,verlorenen Schaf’’, der leidenden und verlorenen Menschheit, nachgeht. Wenn Jesus in seinen Gleichnissen von dem Hirten spricht, der dem verlorenen Schaf nachgeht, von der Frau, die die Drachme sucht, von dem Vater, der auf den verlorenen Sohn zugeht und ihn umarmt, dann sind dies alles nicht nur Worte, sondern Auslegungen seines eigenen Seins und Tuns. In seinem Tod am Kreuz vollzieht sich jene Wende Gottes gegen sich selbst, in der er sich verschenkt, um den Menschen wieder aufzuheben und zu retten — Liebe in ihrer radikalsten Form. Der Blick auf die durchbohrte Seite Jesu, von dem Johannes spricht (vgl. 19,37), begreift, was Ausgangspunkt dieses Schreibens war: ,,Gott ist Liebe’’ (1 Joh 4,8). Dort kann diese Wahrheit angeschaut werden.

Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est (25.12.2005), n. 12

 

Die sakramentale Wirklichkeit der Kirche in Christus

4. In der Gemeinschaft mit Jesus Christus in Glauben und Liebe werden die Menschen Kinder Gottes in einem neuen Sinn, als Schwestern und Brüder des ewigen Sohnes des Vaters. So sammelt Christus die Familie Gottes, ermöglicht Umkehr und Vergebung der Sünden und richtet die Menschen auf ein Ziel ihres Lebens aus, das sie aus eigener Kraft niemals erreichen könnten. Durch Tod und Auferstehung Jesu und durch die Sendung des österlichen Geistes gewinnt diese Sammlungsbewegung universale Gestalt: Das Gottesvolk des Alten Bundes wird geöffnet in das neue Gottesvolk hinein, die Kirche aus Juden und Heiden.

Weil die Kirche „die Ausdehnung des Leibes Christi in der Geschichte“ ist[5], nimmt sie teil am sakramentalen Wesen des inkarnierten Sohnes. Alles, was sie besitzt, empfängt sie von Christus – darum hat man sie mit dem Mond verglichen, der nicht selbst leuchtet, sondern sein Licht ganz von der Sonne empfängt. „In Christus“, so lehrt das Konzil, ist die Kirche „gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1). Das bedeutet: Die Kirche macht vor der Welt sichtbar, wie Menschen aus allen Völkern und Nationen dem Vater durch Christus im Heiligen Geist und dadurch auch untereinander in einzigartiger Weise verbunden werden. Zugleich ist sie lebendiges Werkzeug zur Verwirklichung dieser doppelten Einheit für alle, die sich ihr anschließen wollen.

Damit ist die Kirche „in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich“: „Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16)“ (LG 8).

Bei aller Betonung der Analogie zwischen Christus und Kirche weist das Konzil hier zugleich auf die Verschiedenheit der kirchlichen Sakramentalität gegenüber der Sakramentalität Christi hin. Die menschliche Natur Jesu ist unwiderruflich aufgenommen in die Person des göttlichen Sohnes. Durch die Verbindung mit der Gottheit wird sie geheiligt und vor jeder Sünde bewahrt. Sie ist in jedem Augenblick reines Medium des göttlichen Wirkens in der Welt. Für die menschliche Wirklichkeit der Kirche gilt das nicht. Zwar ist der Kirche durch das Wirken des Geistes objektive Heiligkeit und sogar Unzerstörbarkeit zugesagt, damit sie durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und den Hirtendienst das Wirken Christi in der Welt vergegenwärtigen und fortsetzen kann. Aber die Glieder der Kirche sind Menschen, die den Schatz der Gnade Gottes „in zerbrechlichen Gefäßen“ (vgl. 2 Kor 4,7) tragen und frei bleiben, sich ihrer Berufung und Sendung zu verweigern. Darum kann die Sünde der Getauften in ihrer individuellen wie strukturellen Dimension die sakramentale Sendung der Kirche in erheblicher Weise verdunkeln und in den Augen vieler Menschen sogar zweifelhaft werden lassen. Sie kann die reale Gestalt der Kirche in eine kaum zu ertragende Spannung zu ihrem inneren Wesen stellen.

Die Theologie aller Jahrhunderte bewegt sich in ihren Aussagen über die „makellose“ und zugleich „entstellte“ Kirche zwischen diesen beiden Polen, deren letzte Vermittlung, wie schon Augustinus wusste, Gegenstand der eschatologischen Hoffnung bleibt[6]. Aber wo immer Katholiken die „ehebrecherische“ Verkommenheit der Kirche mit teils scharfen Worten angeklagt haben, ist die gleichzeitige Realität ihrer Heiligung in Christus niemals in Frage gestellt worden. „Nicht in sich, sondern in uns wird die Kirche verwundet. Hüten wir uns also, dass unser Fehltritt nicht zur Wunde der Kirche wird“, schreibt darum schon der hl. Ambrosius (De Virginitate cap. VIII, n. 48).

Man kann daraus folgern, dass für die sakramentale Kirche gilt, was für alle Einzelsakramente gilt: Ihre objektive geistliche Kraft (die Wirksamkeit ex opere operato) ist durch Christus selbst garantiert und verdankt sich niemals menschlicher Stellungnahme im Prozess der Präsentation und Deutung des heiligen Zeichens; folglich kann sie durch menschliche Schuld auch nicht zerstört werden. Aber das „fruchtbare“ Ankommen der bezeichneten Wirklichkeit bei denen, an die es sich richtet (die Wirksamkeit ex opere operantis), kann durch das Fehlverhalten von Menschen im sakramentalen Kommunikationsgeschehen schwer beeinträchtigt werden. Katharina von Siena hat dies in einem Bild ausgedrückt: Die Gabe der Gnade, die nicht von Menschen beeinträchtigt werden kann, aber durch Menschen überbracht wird, könnte verachtet werden, wenn der Überbringer ekelerregend schmutzig sei (Dialogo 120. 122). Wenn Verwalter der Sakramente durch schuldhaftes Handeln Anlass zum Anstoß bieten, lassen sie nicht nur die Christusrepräsentation des geweihten Amtes unglaubwürdig werden, sondern werden für andere Menschen sogar ein Hindernis in der Begegnung mit Gott in den Sakramenten, die sie spenden. Dieser Aspekt wird in Beschreibungen der gegenwärtigen Kirchenkrise zurecht benannt.

Durch die Vereinigung mit Christus verschließt sich das Volk des Neuen Bundes keineswegs in sich selbst, sondern wird vielmehr zum »Sakrament« für die Menschheit [LG 1], zum Zeichen und Werkzeug des von Christus gewirkten Heiles, zum Licht der Welt und zum Salz der Erde (vgl. Mt 5,13-16) für die Erlösung aller [LG 9]. Die Sendung der Kirche führt die Sendung Christi weiter: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21). Aus der Fortdauer des Kreuzesopfers in der Eucharistie und aus der Gemeinschaft mit dem Leib und dem Blut Christi schöpft die Kirche die notwendige geistliche Kraft, um ihre Sendung zu erfüllen.

Johannes Paul II, Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (17.04.2003), n. 22.

 

„Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nur mehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe „Kirche“ zu beurteilen und zu behandeln ist. Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr.

Dann kommt auch keine Freude mehr auf über die Zugehörigkeit zu diesem Weinstock „Kirche“. Es verbreiten sich Unzufriedenheit und Missvergnügen, wenn man die eigenen oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen von „Kirche“, die eigenen „Kirchenträume“ nicht verwirklicht sieht! Da verstummt dann auch das frohe „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirche berufen hat“, das Generationen von Katholiken mit Überzeugung gesungen haben. (…)

„Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt, … denn getrennt von mir – wir könnten auch übersetzen: außerhalb von mir – könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,4). Vor diese Entscheidung ist jeder von uns gestellt. Wie ernst sie ist, sagt uns der Herr wiederum in seinem Gleichnis: „Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die weggeworfenen Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh 15,6). Dazu kommentiert der heilige Augustinus: „Eines von beiden kommt der Rebe zu, entweder der Weinstock oder das Feuer; wenn sie nicht im Weinstock ist, wird sie im Feuer sein; damit sie also nicht im Feuer sei, möge sie im Weinstock sein“ (In Ioan. Ev. tract. 81,3 [PL 35, 1842]).“

Benedikt XVI., Predigt bei der Eucharistiefeier in Berlin (22.09.2011)

 

Amtliche Bevollmächtigung von Menschen in der Kirche

5. Wahr bleibt bei alledem: Sofern die Kirche primär durch und in Christus eine sakramentale Realität ist, kann in ihr das Menschliche, Sichtbare, Institutionelle nicht vom Göttlichen, Unsichtbaren, Geistlichen getrennt werden. Die beiden Dimensionen „bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ (LG 8). Dies ist auch das Grundprinzip für ein theologisches Verständnis des kirchlichen Amtes.

Schon vor Ostern bezieht Jesus Menschen in sein sakramentales Wirken ein. Wer in die Nachfolge Jesu eintritt, bekommt Anteil an seinem Sein und an seiner Sendung. In einem feierlichen Akt „schafft“ Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens zwölf Männer, „damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden und mit Vollmacht Dämonen auszutreiben“ (vgl. Mk 3,14-15). Sie stehen für die endzeitliche Erneuerung des von Gott erwählten Zwölf-Stämme-Volkes Israel. Nach Ostern sendet der auferstandene Herr mit Berufung auf seine universale Vollmacht die Apostel erneut aus, damit sie nun den Menschen in aller Welt das Evangelium verkünden, sie zu seinen Jüngern machen und auf den Namen des dreieinigen Gottes taufen. Für dieses Wirken sagt er ihnen seine beständige Gegenwart zu (vgl. Mt 28, 18-20).

6. Es gehört zum katholischen Glauben, dass die Bestellung der Apostel durch Christus ein dauerhaftes geistliches Dienstamt in der Kirche begründet hat, das durch Handauflegung und Gebet sakramental vermittelt wird. Dieses Amt repräsentiert einerseits den siegreichen auferstandenen Christus und sein Wirken als erhöhter Herr der Kirche: „Durch die Größe seiner Macht herrscht er über Himmlisches und Irdisches, und durch seine alles überragende Vollkommenheit und Wirksamkeit erfüllt er den ganzen Leib mit dem Reichtum seiner Herrlichkeit (vgl. Eph 1,18-23)“ (LG 7).

Andererseits bleibt die konkrete Gestalt, in der die Christusvergegenwärtigung auf dem irdischen Weg der Kirche geschehen muss, diejenige, die der Herr selbst in seinem Erdenleben als Form der Nachfolge vorgegeben hat: die Teilnahme an seiner Proexistenz, am unbedingten Einsatz für Gott und die Menschen, und an seiner liebenden Selbstentäußerung bis zum Tod (vgl. Mk 9,35; Mk 10,42-44). „Der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat“ (Joh 13,16), sagt Christus den Jüngern, nachdem er in der Fußwaschung das Programm seines Lebens symbolisch zusammengefasst hat.  Das Evangelium gibt vor, dass Vollmacht in der Kirche einzig um des uneigennützigen Dienstes willen verliehen wird und dass von dem dazu in Dienst Genommenen in höherem Maße Rechenschaft verlangt wird. Das ist ein hohes Ideal, mit dem sich bereits die Apostel (angefangen bei Petrus) schwertaten und das die Kirche zu allen Zeiten herausfordern muss.

Die von Jesus den Aposteln anvertraute Sendung muss bis ans Ende der Zeiten andauern (vgl. Mt 28,20), weil das Evangelium, zu dessen Weitergabe sie beauftragt sind, das Leben der Kirche zu jeder Zeit ist. Eben deshalb trugen die Apostel für die Bestellung von Nachfolgern Sorge (…). An der besonderen Ausgießung des Heiligen Geistes, mit dem die Apostel vom auferstandenen Herrn beschenkt wurden (vgl. Apg 1,5.8; 2,4; Joh 20,22-23), ließen sie ihre Mitarbeiter durch die Auflegung der Hände teilhaben (vgl. 1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6-7). Diese wiederum gaben sie mit derselben Geste an andere weiter, und diese wieder an andere. Auf diese Weise ist die geistliche Gabe des Anfangs durch die Auflegung der Hände, das heißt durch die Bischofsweihe, welche die Fülle des Weihesakramentes, das Hohepriestertum, die Ganzheit des heiligen Dienstamtes überträgt, bis auf uns gekommen. Durch die Bischöfe und die Priester, die ihnen zur Seite stehen, ist also der Herr Jesus Christus, auch wenn er zur Rechten des Vaters sitzt, weiterhin inmitten der Gläubigen anwesend. Zu allen Zeiten und an allen Orten verkündet er allen Völkern Gottes Wort, spendet den Gläubigen die Sakramente des Glaubens und lenkt und ordnet gleichzeitig das Volk des Neuen Bundes auf seiner Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit. Der Gute Hirt verlässt seine Herde nicht, sondern hütet und schützt sie immer mittels derjenigen, die, wenn sie kraft der seinsmäßigen Teilhabe an seinem Leben und seiner Sendung die Aufgabe des Lehrers, Hirten und Priesters in hervorragender und sichtbarer Weise innehaben, an seiner Stelle handeln. Bei der Ausübung der mit dem Hirtenamt verbundenen Aufgaben sind sie als seine Stellvertreter und Gesandte eingesetzt.

Johannes Paul II., Nachsynod. Apost. Schreiben Pastores Gregis (16.10.2003), n. 6

 

„Heilige sie in der Wahrheit“ (Joh 17,17): Dies ist die Einsetzung der Apostel ins Priestertum Jesu Christi, die Einsetzung seines neuen Priestertums für die Gemeinschaft der Glaubenden aller Zeiten. „Heilige sie in der Wahrheit“: Das ist das eigentliche Weihegebet für die Apostel. Der Herr bittet darum, dass Gott sie selbst an sich zieht, in seine Heiligkeit hinein. Dass er sie aus dem Eigenen wegnimmt und sie sich zueignet, damit sie von ihm her priesterlichen Dienst für die Welt tun können. (…)

Hat nicht Christus von sich selbst gesagt: „Ich bin die Wahrheit“ (vgl. Joh 14, 6)? Und ist er nicht selbst das lebendige Wort Gottes, auf das alle einzelnen Wörter verweisen? Heilige sie in der Wahrheit – das heißt dann zutiefst: Einige sie mit mir – Christus. Binde sie an mich. Ziehe sie hinein in mich. Und in der Tat: Es gibt letztlich nur einen Priester des Neuen Bundes, Jesus Christus selbst. Und das Priestertum der Jünger kann daher nur Teilhabe an Jesu Priestertum sein. Unser Priestersein ist daher nichts anderes als eine neue, radikale Weise der Einigung mit Christus. Seinsmäßig ist sie uns im Sakrament für immer geschenkt. Aber dieses neue Siegel des Seins kann uns zum Gericht werden, wenn nicht unser Leben in die Wahrheit des Sakraments hineinwächst. 

Benedikt XVI., Predigt in der Chrisammesse im Petersdom zu Rom (9.4.2009)

 

Das sakramentale Dienstamt von Bischöfen, Presbytern und Diakonen

7. Die konkrete Gestalt des sakramentalen Amtes in den drei Stufen des Bischofs, Presbyters und Diakons hat sich in der frühen nachapostolischen Zeit rasch herausgebildet. Es war der Geist des Auferstandenen, so lautet das Urteil aus der Perspektive des Glaubens, der auch in dieser Hinsicht seine Kirche in alle Wahrheit eingeführt hat (vgl. Joh 16,13). Wie die Kirche als ganze in der Kraft des pfingstlichen Gottesgeistes das Werk ihres menschgewordenen Herrn sakramental fortsetzt, so besitzt auch das Leitungsamt in der Kirche sakramentale Gestalt: Es ist wirksames Zeichen der bleibenden Gegenwart Christi, des Hauptes, in seiner Kirche. Damit macht das geweihte Amt sichtbar, dass die Kirche sich nicht selbst begründet und genügt, sondern jederzeit auf das zuvorkommende, konstitutive Wirken ihres Herrn verwiesen bleibt.

In der Sakramentalität der Kirche und ihres apostolischen Amtes ist nicht in erster Linie ein „Programm“ zu sehen, dessen Umsetzung von Menschen (mehr oder weniger überzeugend) zu leisten wäre, sondern ein der Kirche von Christus selbst eingeschriebenes Wesensmerkmal. Die pneumatische Anteilnahme an der Sendung Jesu durch Einbeziehung in seine dreifache Sendung des Lehrens, Leitens und Heiligens, die der Kirche als ganzer und den Gläubigen in ihr gegeben ist (vgl. LG 31), wird durch das sakramentale Amt in einer besonderen Weise verwirklicht, nämlich als Hirtendienst an allen Getauften in der Person Christi, des Hauptes der Kirche.

So ist zwar, wie die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils bereits durch ihren Aufbau deutlich macht, die gemeinsame Erwählung und Würde des ganzen Gottesvolkes Fundament der ekklesialen Sendung (vgl. LG 9-12): Das Geschenk der Gotteskindschaft, die Berufung zur Heiligkeit in der Nachfolge Christi und die vielfältige Begabung durch Gottes Geist zur Teilnahme am Apostolat der Kirche gehen jeder amtlichen Bevollmächtigung durch die Weihe zeitlich wie sachlich voraus. Aber obgleich der amtliche Dienst, der den Bischöfen, Priestern und Diakonen aufgetragen ist, stets ein Handeln im Namen der Kirche beinhaltet und insofern als Konkretisierung der gemeinsamen Tauf- und Firmcharismen angesehen werden kann, erschöpft er sich nicht darin. Er ist nicht bloß Resultat gemeindlicher Delegation oder funktionaler Ausdifferenzierungen innerhalb der Sozialgeschichte einer religiösen Institution. Christus selbst bevollmächtigt Menschen durch sakramentale Ordination auch zum Handeln in seiner Person. Der Kirche stehen Hirten vor, die dazu durch sakramentale Weihe (LG 11), die „heilige Vollmacht“ (LG 18) verleiht, befähigt und mit einem eigenen Amtscharisma ausgestattet werden.

8. An erster Stelle sind nach katholischem Verständnis die Bischöfe zum sakramentalen Vorsteheramt in der Kirche berufen. So wird im heutigen Weihegebet der Bischofsweihe (dessen Text bereits zu Beginn des 3. Jh.s bezeugt ist) auf den zu Weihenden derselbe „Geist der Leitung“ herabgerufen, der von „Christus […] den Aposteln verliehen“ wurde. Die Bischöfe sind „aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten“ (LG 20) und üben einen Dienst aus, der vom Herrn zur beständigen Fortdauer „bis zur Vollendung der Weltzeit“ (LG 18) eingerichtet wurde. Der Bischof „wird im Namen Christi dazu bestellt, die Kirche durch das Wort und die Gnade Gottes zu weiden“ (LG 11). Er ist „mit der Fülle des Weihesakramentes ausgezeichnet“ (LG 26), ihm ist das Hirtenamt in der Kirche „im vollen Umfang“ anvertraut (LG 27).

In der Ausübung seines Hirten- und Vorsteherauftrags setzt der Bischof das dreifache Amt Christi fort: „als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung“ (LG 20). Wie sich in Christus die Aspekte des dreigestaltigen Amtes (munus triplex) ungeteilt durchdringen, so verbindet auch die integrale Christusrepräsentation des Bischofs alle drei Dimensionen (vgl. LG 21; CD 2). Mit seinem Amt ist von Christus her die Sorge um die Einheit und Identität der Kirche verknüpft, in der die Gläubigen „durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft“ (LG 14) verbunden sind.

Daraus folgt nicht nur, dass die Bischöfe in synchroner wie diachroner Perspektive eine unverzichtbare Funktion für die unversehrte und lebendige Bewahrung des Evangeliums besitzen (vgl. DV 7), die sie von anderen Instanzen im Gefüge der aktiven Tradition der Kirche unterscheidet und für die sie „das sichere Charisma der Wahrheit“ empfangen (DV 8). Deutlich wird auch, dass Gewaltenteilung im modernen Sinn mit der monepiskopalen Kirchenleitung nicht zu vereinbaren ist.

Das Bischofsamt kennt aber eine andere Begrenzung, die aus der kollegialen Einbindung des einzelnen Bischofs in den weltkirchlichen Episkopat und der Verschränkung der bischöflich geleiteten Teilkirche mit der Universalkirche resultiert, deren Einheit der besonderen Sorge des Petrusamtes anvertraut ist. So ist zwar die von Christus verliehene Weihevollmacht dem Bischof als „eigene, ordentliche und unmittelbare Gewalt“ zu eigen; dennoch wird „ihr Vollzug letztlich von der höchsten kirchlichen Autorität geregelt“ und „im Hinblick auf den Nutzen der Kirche oder der Gläubigen mit bestimmten Grenzen umschrieben werden“ (LG 27). Die rechtmäßige Ausübung der Hirtenvollmacht findet nur „in der hierarchischen Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums“ statt, in das der einzelne Bischof qua Weihe aufgenommen wird. Neben der sakramentalen Weihe bleibt für ihn die Zuweisung einer kanonischen Sendung unverzichtbar, die durch den Papst erfolgt, der dabei den Vorrang des Petrus im Zwölferkreis repräsentiert. Wie die Nota praevia zu Lumen gentium betont, muss die qua Weihe empfangene „seinsmäßige Teilnahme an den heiligen Ämtern“ juridisch „determiniert“ werden, damit daraus echte Vollmacht wird, in welcher dann der Bischof für seine Diözese als Gesetzgeber, Richter und Verantwortlicher für die liturgischen und apostolischen Vollzüge fungiert. So wird die Kirche „vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet“ (LG 8).

9. In abgestufter Form nehmen die übrigen sakramental Geweihten, Presbyter und Diakone, als „Helfer“ und „Mitarbeiter“ der Bischöfe (vgl. LG 20) am kirchlichen Hirtendienst teil. Auch ihnen ist der „Dienst des Wortes und der Sakramente (…) in besonderer Weise (…) anvertraut“ (AA 6), wobei sie ihn stets in enger Bindung an den Bischof ausüben. Wie der Bischof sind die Presbyter „zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zur Feier des Gottesdienstes geweiht“ (LG 28). In der Weihe wird auch ihnen ein unauslöschliches Prägemal verliehen, so dass sie ihren geistlichen Dienst in der Gestalt einer lebenslangen, die ganze Existenz einbeziehenden Sendung übernehmen. „Das Amt, das sie aus deiner Hand, o Gott, empfangen, die Teilhabe am Priesterdienst, sei ihr Anteil für immer“, betet der Bischof im Weihegebet bei der Ordination der Presbyter. Als „wahre Priester des Neuen Bundes“ (LG 28) erhalten die Presbyter ihre bleibende sakramentale Bevollmächtigung von Christus und nicht etwa vom Bischof, der die Priesterweihe nicht aus eigener Kraft, sondern nur als Diener Gottes spendet[7].

Zentrum des „heiligen Amtes“ der Presbyter ist die Feier der Eucharistie, „wobei sie in der Person Christi handeln und sein Mysterium verkünden, die Gebete der Gläubigen mit dem Opfer ihres Hauptes vereinigen und das einzige Opfer des Neuen Bundes, das Opfer Christi nämlich (…), vergegenwärtigen und zuwenden“ (LG 28). Papst Franziskus hat diese Mitte des priesterlichen Dienstes jüngst in Erinnerung gerufen: „Der Priester ist Zeichen dieses Hauptes [sc. Christus], das die Gnade vor allem im Feiern der Eucharistie ausgießt, die Quelle und Höhepunkt allen christlichen Lebens ist. Darin besteht seine große Amtsgewalt, die nur im Weihesakrament empfangen werden kann“[8]. Deswegen lehrt das Zweite Vatikanum einen wesenhaften, nicht bloß graduellen Unterschied zwischen dem besonderen Priestertum des Dienstes und dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften (LG 10).

Die Priester sind in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten; sie verkünden mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot, vor allem durch die Taufe, die Buße und die Eucharistie, sie sorgen wie er liebevoll bis zur völligen Selbsthingabe für die Herde, die sie in der Einheit sammeln und durch Christus im Geist zum Vater führen. Mit einem Wort, die Priester leben und handeln für die Verkündigung des Evangeliums an die Welt und für den Aufbau der Kirche im Namen und in der Person Christi, des Hauptes und Hirten. Auf diese typische, spezifische Art und Weise nehmen die geweihten Diener an dem einen Priestertum Christi teil. Der Heilige Geist gestaltet sie durch die sakramentale Salbung auf eine neue und spezifische Weise Christus nach, dem Haupt und Hirten, er formt und beseelt sie mit der Hirtenliebe Christi und versetzt sie in der Kirche in die wirkmächtige Lebensaufgabe von Dienern an der Verkündigung des Evangeliums für alle Geschöpfe und Dienern an der Fülle des christlichen Lebens aller Getauften.

Johannes Paul II., Apost. Schreiben Pastores dabo vobis (25.03.1992), n. 15.

Als Dienst an der Einheit des Glaubens und an seiner unversehrten Weitergabe hat der Herr der Kirche die Gabe der apostolischen Sukzession geschenkt. Durch sie wird die Kontinuität des Gedächtnisses der Kirche gewährleistet und ist es möglich, sicher aus der reinen Quelle zu schöpfen, aus der der Glaube kommt. Die Garantie der Verbindung mit dem Ursprung wird also von lebendigen Personen gegeben, was dem lebendigen Glauben entspricht, den die Kirche weitergibt. Er stützt sich auf die Treue der Zeugen, die vom Herrn für diese Aufgabe ausgewählt werden. Deshalb spricht das Lehramt immer in Gehorsam gegenüber dem ursprünglichen Wort, auf das sich der Glaube gründet; und es ist verlässlich, weil es dem Wort vertraut, das es hört, bewahrt und auslegt. [Vat. II, Dei Verbum n. 10] In seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus in Milet, die vom heiligen Lukas in die Apostelgeschichte aufgenommen wurde, bezeugt der heilige Paulus, den ihm vom Herrn anvertrauten Auftrag erfüllt zu haben, »den ganzen Willen Gottes zu verkünden« (Apg 20,27). Dank des Lehramts der Kirche kann dieser Wille unversehrt auf uns kommen und mit ihm die Freude, ihn vollkommen zu erfüllen.

Franziskus, Enzyklika Lumen Fidei (29.06.2013), n. 49

 

Die unterschiedlichen Berufungen in der einen kirchlichen Sendung

10. Obwohl das Konzil also die Unverzichtbarkeit und eigenständige sakramentale Begründung des Hirtenamtes klar bestätigt hat und darum die Kirche eine „mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft“ (LG 8; vgl. LG 20) nennen kann, hat es gleichermaßen die Verwiesenheit des Amtes auf die Gesamtheit des Gottesvolkes in mehrfacher Hinsicht unterstrichen. So wird die kirchliche Hierarchie auf Wertschätzung und Förderung der unterschiedlichen Charismen verpflichtet, deren Beurteilung und Integration in die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft ihr zugleich aufgetragen ist (vgl. AA 3). Diesen Verhältnisbestimmungen liegt die Überzeugung von der gemeinsamen Berufung aller Getauften zur Heiligkeit zugrunde, die dazu ermutigt und verpflichtet, ihre vielfältigen Charismen als Reichtum der Kirche zu verstehen und als Grundlage der Partizipation aller an der gemeinsamen kirchlichen Sendung anzuerkennen[9].

Mit der ausdrücklichen Anerkennung des wachsenden Verantwortungsbewusstseins der Laien in der Kirche (vgl. AA 1) und ihrer eigenständigen Berufung zum Apostolat durch Taufe und Firmung (LG 33) verbindet sich die Mahnung: „Die geweihten Hirten sollen die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern. Sie sollen gern deren klugen Rat benutzen, ihnen vertrauensvoll Aufgaben im Dienst der Kirche übertragen und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus eigener Initiative Werke in Angriff zu nehmen“ (LG 37; vgl. PO 9; CD 6; AA 24). Das geweihte Amt ist nicht Selbstzweck, sondern Dienst am Heil aller Glieder der Kirche (vgl. LG 18). Es ist nicht eingerichtet, „um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen“ (LG 30), sondern muss diese Aufgabe zusammen mit dem ganzen Volk Gottes erfüllen. Deshalb gibt es „in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung“ (AA 2; vgl. LG 13). Nicht Neid oder Konkurrenz sollen das Verhältnis von Hirtendienst und Laienapostolat prägen, sondern beide sind dazu bestimmt, vertrauensvoll zu kooperieren (vgl. LG 37), einander zu ergänzen (vgl.  AA 6) und gemeinsam das Wirken des einen Gottesgeistes zu bezeugen (vgl. LG 32). Auch in der hierarchischen Kirche gilt: „Stärker ist, was die Gläubigen eint als was sie scheidet“ (GS 92).

11. Ausdrücklich lehrt das Konzil, dass Laien über das ihnen genuin zukommende Apostolat hinaus, das seinen Schwerpunkt „in der Welt“ hat (vgl. AA 2), „in verschiedener Weise zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie berufen werden“ können (LG 33), und zwar nach dem Vorbild jener Frauen und Männer, welche schon die Apostel bei ihrem Dienst unterstützt haben. „Außerdem haben sie die Befähigung dazu, von der Hierarchie zu gewissen kirchlichen Ämtern herangezogen zu werden, die geistlichen Zielen dienen“ (ebd.). Diese grundlegenden Weisungen des Konzils lassen unterschiedliche Konkretisierungen für die Einbeziehung von Laien in die Seelsorge zu, die in den Jahrzehnten nach dem Konzil bereits – mit regional unterschiedlichen Schwerpunkten – auf breitem Feld zur Verwirklichung gekommen sind und zukünftig weitere Entfaltungen zulassen. In ihnen können unterschiedlichste Charismen bis hin zu denjenigen der geistlichen Lehre, Leitung und Begleitung anderer Christinnen und Christen Anerkennung finden.

Das nachkonziliare Kirchenrecht kennt keine generelle Bindung von Kirchenämtern (officia) an eine heilige Weihe (vgl. CIC 1983, can. 145). Auf dieser Grundlage stellt in vielen Teilen der Weltkirche die Bestellung von Laien, Frauen wie Männern, in pastorale und liturgische Dienste, diverse Ämter der kirchlichen Verwaltung und Gerichtsbarkeit (unterhalb der Ebene des Generalvikars bzw. Offizials und deren Stellvertreter) oder der theologischen Forschung und des Unterrichts längst eine Selbstverständlichkeit dar. Gewählte Räte und Gremien unterstützen die Pastoral auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen der Pfarreien, Dekanate, Diözesen und nationalen Bischofskonferenzen. Sie sind Ausdruck der Tatsache, „dass die Synodalität eine konstitutive Dimension der Kirche ist, die durch sie als Gottesvolk auf dem Weg und als vom auferstandenen Herrn einberufene Versammlung in Erscheinung tritt und sich gestaltet“[10].

12. Allerdings stellt sich in der Gegenwart neu die Frage, in welchen Bereichen kirchlicher Leitungsfunktionen die Verbindung von Jurisdiktion und Weihevollmacht nicht aufgegeben werden darf, weil es in besonderer Weise um einen Hirtendienst geht, der mit sakramentaler Christusrepräsentation verbunden ist und darum aus der integralen Einheit von Lehre, Leitung und Heiligung hervorgeht. So sind Ämter, die der Seelsorge im vollen Sinn gewidmet sind, auch im geltenden Kirchenrecht explizit an die Priesterweihe gebunden (vgl. CIC 1983, can. 150).

Hinsichtlich des Amtes der Diözesanbischöfe ist es heute unbestritten, dass die jahrhundertelang vielerorts praktizierte Trennung von Jurisdiktion und Weihe ein schwerer Missstand war, der sich nicht wiederholen darf. Dagegen wird heute nicht selten die Forderung erhoben, Laien förmlich mit der Leitung von Pfarreien zu beauftragen und damit faktisch in ein bislang mit der Priesterweihe verknüpftes Amt einzusetzen. Dabei verweist man nicht bloß auf die pastoralen Folgen des immer dramatischer werdenden Priestermangels für viele Pfarreien, sondern auch auf die in Taufe und Firmung wurzelnde charismatische Befähigung, mit der für manche Christinnen und Christen die Kompetenz zur Gemeindeleitung verbunden sein soll.

Gegen solche Bestrebungen hat die Kleruskongregation im Jahr 2020 mit Approbation von Papst Franziskus klargestellt, dass der Titel oder die Funktionen eines kanonischen Pfarrers selbst in Situationen des Priestermangels nicht an Laien übertragen werden können[11]. Davon unberührt bleiben andere Formen der pastoralen Mitarbeit und ggf. eine „Beteiligung an der Ausübung der Hirtensorge der Gemeinde“ gemäß CIC 1983, can. 517 § 2[12], die in der Weltkirche seit längerem in unterschiedlichen Konkretionsformen praktiziert wird. Die Instruktion der Kleruskongregation erinnert somit daran, dass das Ideal der Verbindung von Leitungsamt und Weihe auch unterhalb der bischöflichen Ebene nicht beliebig zur Disposition gestellt werden darf. Eine Lösung derjenigen Probleme, die unbezweifelbar in vielen Teilen der Weltkirche aus dem Priestermangel resultieren, ist innerhalb der so abgesteckten Grenzen zu suchen.

Der Heilige Geist vertraut der Kirche als communio die verschiedenen Ämter an. Zugleich bereichert er sie mit anderen besonderen Gaben und Impulsen, Charismen genannt. Sie können als Ausdruck der vollkommenen Freiheit des Geistes, der sie schenkt, oder als Antwort auf die vielfältigen Bedürfnisse im Lauf der Geschichte der Kirche verschiedene Formen annehmen. (…) Die Charismen müssen von jenen, die sie empfangen, aber auch von der gesamten Kirche in Dankbarkeit angenommen werden. Sie beinhalten einen besonderen Reichtum an Gnade für die apostolische Dynamik und für die Heiligkeit des ganzen Leibes Christi, vorausgesetzt, dass es sich um Gaben handelt, die in der Tat vom Geist kommen und in vollkommenem Einklang mit echten Antrieben des Geistes ausgeübt werden. Darum ist eine Unterscheidung der Charismen immer notwendig. (…) Darum dispensiert kein Charisma von der Rückbindung an die Hirten der Kirche und von der Unterordnung unter sie. Das Konzil schreibt mit großer Klarheit: »Das Urteil über ihre (der Charismen) Echtheit und ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12 u. 19-21)« [LG 12], damit alle Charismen in ihrer Verschiedenheit und Komplementarität zum Allgemeinwohl beitragen. [LG 30]

Johannes Paul II. Nachsyn. Apost. Schreiben Christifideles Laici (30.12.1988), n. 24.

Das Amt des Pfarrers dient der umfassenden Seelsorge [vgl. can. 150 CIC]. Daher muss ein Gläubiger die Priesterweihe [vgl. can. 521 § 1 CIC] empfangen haben, damit er gültig zum Pfarrer ernannt werden kann. Wer sie nicht hat, kann, auch nicht im Falle des Priestermangels, weder den Titel noch die entsprechenden Funktionen erhalten. Da der Hirte und die Gemeinde sich kennen und einander nahe sein müssen, kann das Amt des Pfarrers auch nicht einer juristischen Person anvertraut werden [vgl. can. 520 § 1 CIC]. Ausgehend von den Bestimmungen des can 517 §§ 1-2, ist besonders darauf hinzuweisen, dass das Amt des Pfarrers nicht einer aus Klerikern und Laien bestehenden Gruppe übertragen werden kann. Daher sind Bezeichnungen wie „Leitungsteam“, „Leitungsequipe“ oder ähnliche Benennungen, die eine kollegiale Leitung der Pfarrei zum Ausdruck bringen könnten, zu vermeiden. 

Kongregation für den Klerus, Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche (20.07.2020), n. 66.

Kriterien für die angemessene Ausübung kirchlicher Ämter

13. Wir haben schon davon gesprochen, dass sakramentale Amtsvollmacht in ihrer Ausübung der kirchlichen Gemeinschaft verpflichtet bleibt, in deren Dienst sie steht und deren Einheit sie fördern soll. Darum dürfen die durch Weihe vermittelten Vollmachten nur in Verbindung mit einer kanonischen Sendung rechtmäßig ausgeübt werden. Aber es würde zu kurz greifen, innerkirchliche Machtausübung allein an rechtlichen Maßstäben zu beurteilen. Schon die Heilige Schrift stellt die Amtsträger unter die geistlich-moralische Verpflichtung, „nicht Beherrscher der Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde“ zu sein (1 Petr 5,3).

Gerade in unserer Zeit muss Amtsausübung in der Kirche authentisch und überzeugend geschehen, um bei den Menschen Akzeptanz zu finden. Von offiziellen Vertretern der Kirche wird ein Handeln erwartet, das durch Transparenz und Verlässlichkeit sowie nicht zuletzt durch persönliche Glaubwürdigkeit und moralische Integrität gekennzeichnet ist. Zwar gelangen Bischöfe und Pfarrer in der Regel nicht wie politische Mandatsträger in modernen Demokratien durch Wahl in ihr Amt und übernehmen es nicht nur für eine im Voraus klar begrenzte Zeit. Dies wird prinzipiell auch in Zukunft so bleiben. Aber in unserer Gegenwart genießen traditionelle Institutionen und ihre Vertreter keinen automatischen Vertrauensvorschuss mehr und müssen damit rechnen, dass ihr Fehlverhalten nicht stillschweigend toleriert, sondern in die (mediale) Öffentlichkeit getragen und schonungslos angeklagt wird. Wie für andere gesellschaftliche Institutionen ist auch für die Kirchen in einer pluralistischen Gesellschaft öffentliche Kontrolle des Handelns eine Wirklichkeit, die nicht pauschal als Bedrohung, sondern auch als Hilfe zu transparentem Handeln und Aufruf zu glaubwürdiger Kommunikation verstanden werden sollte.  

14. Wenn Menschen ihre Zeit und ihre Kompetenzen der Kirche freiwillig und unentgeltlich zu Verfügung stellen, aber auch, wenn sie einen vergüteten hauptamtlichen Dienst übernehmen, wollen sie sich ernstgenommen und wertgeschätzt wissen. In einer kommunialen Sicht der Kirche sollte es selbstverständlich sein, dass Möglichkeiten der Partizipation und des eigenständigen, verantwortlichen Handelns aller aktiven Gläubigen, auch wenn sie nicht mit sakramentaler Vollmacht bzw. förmlicher Amtsautorität ausgestattet sind, bestmöglich genutzt werden. Dazu bedarf es in mancher Hinsicht einer Veränderung kirchlicher Mentalitäten und Strukturen. Es wird dabei hilfreich sein, dass die Kirche ihre Amtsträger in den Bereichen der Kommunikation, Personalführung und Mitarbeitermotivation weiter professionalisiert.

Darüber hinaus müssen Inhaber kirchlicher Ämter mehr als früher verstehen, dass ihre Autorität nicht auf Autokratie und einsame Entscheidungen abzielt, sondern ihren christusförmigen Dienstcharakter gerade dadurch verwirklicht, dass möglichst viele Christinnen und Christen einbezogen und zu eigenständigem Handeln befähigt werden. Kirchliche Amtsvollmacht verliert nichts dadurch, dass sie sich mit-teilt. Sie verwirklicht ihre tiefste Aufgabe, indem sie sich als Form von Stellvertretung im biblischen Sinn begreift, die das Tun anderer nicht ersetzt, sondern ermöglicht und dadurch die Verwirklichung der je eigenen Berufung aller Getauften im gemeinsamen Raum der Kirche fördert. Denn das kirchliche Amt soll nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils darauf bedacht sein, dass „alle, die zum Volke Gottes gehören und sich daher der wahren christlichen Würde erfreuen, zum Heil gelangen, indem sie frei und geordnet auf dasselbe Ziel hin zusammenwirken“ (LG 18).

Der Bischof muss immer das missionarische Miteinander in seiner Diözese fördern, indem er das Ideal der ersten christlichen Gemeinden verfolgt, in denen die Gläubigen ein Herz und eine Seele waren (vgl. Apg 4,32). Darum wird er sich bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen und die Hoffnung des Volkes aufrecht zu erhalten, andere Male wird er einfach inmitten aller sein mit seiner schlichten und barmherzigen Nähe, und bei einigen Gelegenheiten wird er hinter dem Volk hergehen, um denen zu helfen, die zurückgeblieben sind, und – vor allem – weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden. In seiner Aufgabe, ein dynamisches, offenes und missionarisches Miteinander zu fördern, wird er die Reifung der vom Kodex des Kanonischen Rechts [vgl. Canones 460-468; 492-502; 511-514; 536-537.] vorgesehenen Mitspracheregelungen sowie anderer Formen des pastoralen Dialogs anregen und suchen, in dem Wunsch, alle anzuhören und nicht nur einige, die ihm Komplimente machen. Doch das Ziel dieser Prozesse der Beteiligung soll nicht vornehmlich die kirchliche Organisation sein, sondern der missionarische Traum, alle zu erreichen.

Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24.11.2013), n. 31

Auf die Konsultation der Gläubigen folgt während jeder Synodenversammlung der Unterscheidungsprozess seitens der eigens dazu ausgewählten Hirten, die vereint nach einem Konsens streben, der nicht menschlicher Denkweise, sondern dem gemeinsamen Gehorsam gegenüber dem Geist Christi entspringt. Aufmerksam gegenüber dem sensus fidei des Volkes Gottes – »wobei sie verstehen müssen, diesen von den oft wechselhaften Strömungen der öffentlichen Meinung zu unterscheiden« [Franziskus, Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Einrichtung der Bischofssynode, 17.10.2015] –, legen die Mitglieder der Versammlung dem Papst ihre Meinung vor, damit ihm dies in seinem Dienst als universalem Hirten der Kirche helfen kann. »Die Tatsache, dass der Synode normalerweise beratende und nur in Ausnahmefällen beschließende Funktion zukommt, mindert nicht ihre Bedeutung. In der Kirche ist nämlich der Zweck eines jeden Kollegialorgans, sei es beratend oder beschließend, immer auf die Wahrheit oder auf das Wohl der Kirche ausgerichtet. Wenn es sich dann um die Feststellung des gemeinsamen Glaubens handelt, wird der consensus Ecclesiae nicht durch die Auszählung der Stimmen gewonnen, sondern ist Frucht des Wirkens des Geistes, der die Seele der einzigen Kirche Christi ist« [Johannes Paul II., Nachsyn. Apost. Schreiben Pastores Gregis, 16.10.2003, n. 58]. Deshalb hat das Votum der Synodenväter, »wenn moralisch einmütig, ein qualitatives kirchliches Gewicht, das über den rein formalen Aspekt des beratenden Votums hinausgeht« [Johannes Paul II., Ansprache an den Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode. 30. April 1983].

Franziskus, Apost. Konstitution Episcopalis Communio über die Bischofssynode (15.09.2018), n. 7

 

Machtmissbrauch in der Kirche und Wege zu seiner Überwindung

15. Ekklesiale Amtsvollmacht kann auf vielfältige Weise missbraucht werden, wenn ihre Inhaber sie für die Durchsetzung fragwürdiger eigener Interessen einsetzen oder mit ihrer Hilfe sogar Verbrechen begehen. Das war in der Kirche schon immer bekannt, wie das kanonische Strafrecht bezeugt. Zu den schmerzlichsten Erfahrungen der Gegenwart gehört die Einsicht, dass dieses Rechtssystem im Umgang mit sexuellem und geistlichem Missbrauch im kirchlichen Raum vielfach versagt hat, vor allem, wenn die Täter Priester oder Ordensleute waren.

Die Aufarbeitung der diesbezüglichen Fälle aus den vergangenen Jahrzehnten, die das Leid zahlloser, vor allem minderjähriger Opfer sichtbar werden lässt, ist mit der Vorlage der sog. MHG-Studie und diözesaner Einzelgutachten noch lange nicht abgeschlossen. Schon jetzt wird jedoch erkennbar, dass mit der Absicht, die Kirche als Institution und das Ansehen des priesterlichen Amtes zu schützen, aber auch aufgrund persönlicher Befangenheiten und defizitärer Verwaltungsstrukturen Verbrechen durch Kirchenleitungen vertuscht, klerikale Täter verschont und Opfer mit ihrem Leid nicht ernstgenommen wurden. Zwar sind in den vergangenen Jahren in den Diözesen und Ordensgemeinschaften Deutschlands bereits viele konkrete Maßnahmen zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und zur Umsetzung von Präventionsmaßnahmen erfolgt, die Wirkung zeigen. Es wird aber vieler weiterer Anstrengungen bedürfen, damit die Kirche das Leid der Geschädigten umfassend anerkennen und in Zukunft durch konsequente Verhinderung und Ahndung von Missbrauchsverbrechen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen kann.

16. Der Synodale Weg in Deutschland wurde nicht zuletzt mit dem Ziel begonnen, angesichts der Missbrauchskrise eine schonungslose Analyse der Ursachen systemischen Versagens in Verbindung mit klerikalen Missbrauchsfällen einzuleiten und die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen, damit sich die Verbrechen der Vergangenheit möglichst nicht wiederholen. Dieses Anliegen wird von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Synodalen Weges geteilt. Schon jetzt deuten sich konsensfähige Vorschläge für die bessere Organisation innerkirchlicher Machtausübung an, die als konkrete Antwort auf die Herausforderungen der Missbrauchskrise zu verstehen sind und auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz im Rahmen des geltenden Kirchenrechts umgesetzt werden können.

Andere Aspekte einer veränderten Praxis innerkirchlicher Machtausübung, die vor allem auf der Ebene der Ortsgemeinden echtes Reformpotential bieten und an die Beobachtungen des vorangegangenen Abschnittes anknüpfen, wurden bislang noch kaum in die Diskussion einbezogen. Die Thesen im dritten Teil dieses Dokuments werden konkrete Vorschläge machen, die sich auf beide Bereiche beziehen.

17. Häufig werden in der aktuellen Debatte um die kirchliche Erneuerung, deren Notwendigkeit durch die Missbrauchskrise offenkundig geworden ist, Positionen vorgebracht, deren Inhalte mit der Aufarbeitung oder Prävention innerkirchlichen Machtmissbrauchs in keinem gesicherten Zusammenhang stehen. So sind die Forderungen nach Einführung der Frauenordination oder der Wunsch nach umfassender Anpassung kirchlicher Strukturen an die Standards moderner Demokratien (vor allem in puncto Gewaltenteilung) ebenso wie Zweifel an der geistlichen Vollmacht des Weiheamts, das Plädoyer für seine konsequente Desakralisierung oder eine tiefgreifende Umgestaltung der kirchlichen Sexualmoral Bestandteile einer Reformagenda, deren Ursprünge weit vor der Missbrauchskrise liegen und mit ihr erst sekundär in Verbindung gebracht worden sind.

Eine solche Verquickung der Interessen dient nicht dem ernsten Anliegen, mit dem der Synodale Weg begonnen wurde, und bringt die Gefahr neuer Entzweiungen mit sich, innerhalb der deutschen Kirche ebenso wie in ihrem Verhältnis zum Vatikan und zur Weltkirche. Vor ihnen hat Papst Franziskus die Katholiken in Deutschland ausdrücklich gewarnt[13]. Wenn die Hoffnung geweckt wird, Mehrheitsvoten einer deutschen Synodalversammlung könnten zur Änderung der offiziellen Kirchenlehre und des universalen kanonischen Rechts führen oder zumindest einen deutschen Sonderweg in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre legitimieren, droht am Ende eine Potenzierung der kräftezehrenden Frustration, die schon seit Jahrzehnten mit dem Kampf um radikale Reformen in der katholischen Kirche verbunden ist. Der deutsche Synodale Weg wäre gut beraten, solche Enttäuschungen durch Setzung der richtigen Schwerpunkte schon im Voraus zu vermeiden. Nur dann wird auch eine fruchtbare Verzahnung mit dem gesamtkirchlichen Synodalen Prozess möglich sein, zu dem Papst Franziskus im Frühjahr 2021 den Anstoß gegeben hat.

18. Die Krise, die aus der Aufdeckung schwerer Schuld geweihter Amtsträger und des Versagens kirchlicher Autoritäten im Umgang mit ihnen entstanden ist, wird nicht durch eine Ablehnung oder Relativierung ekklesiologischer Grundüberzeugungen des katholischen Glaubens zu bewältigen sein, sondern nur durch ihr tieferes Verstehen und neues Ernstnehmen. Äbtissin Christiana Reemts OSB hat es in einer Wortmeldung zur aktuellen Reformdebatte auf den Punkt gebracht: „Die Kirche muss sich verändern. Ja und nochmals Ja! Aber nicht nach dem Maßstab der säkularen Gesellschaft, sondern im Hören auf Gottes Wort. Und was sagt das Wort Gottes uns? ‚Ihr sollt nicht das Gleiche tun wie diese Völker, wenn ihr den Herrn, euren Gott, verehrt... Ihr sollt nicht tun, was jeder Einzelne für richtig hält, wie es hier bei uns heute noch geschieht‘ (Dtn 2,4.8). Und das Volk antwortet heute dasselbe, was das Volk Israel damals dem Propheten Samuel geantwortet hat: ‚Wir wollen wie alle anderen sein‘ (1 Sam 8,20)“[14].

Dass Missbrauchsverbrechen, mit denen unsere Gesellschaft auf vielen Ebenen konfrontiert ist, über lange Zeit auch in der Kirche und ihrem Klerus um sich greifen konnten, ohne dass sie wirksam bekämpft wurden, bestätigt diese Diagnose. Die Kirche als Institution, ihr Klerus und alle einzelnen Getauften in ihr müssen sich von Gottes Wort auf einen Weg der echten Umkehr und geistlichen Erneuerung führen lassen, der die Veränderung von falschen Haltungen, die bis zur faktischen Gottlosigkeit reichen können, ebenso einbezieht wie die Reform von Strukturen, die sich als unzureichend erwiesen haben. Die Krise ist ein Aufruf an die Kirche, Christus als wahre und letztlich einzige Quelle der Heilung und Heiligung für alle Menschen neu aufzusuchen, seinen Bußruf ernstzunehmen und sich unter sein barmherziges Gericht zu stellen.

19. Basis für alle Strukturreformen muss die sakramentale Wesensbestimmung der Kirche bleiben, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil vorgetragen hat. In den bereits zitierten Passagen aus LG 8 kommt sie in besonders dichter Weise zum Ausdruck. Die Erfahrung klerikalen Machtmissbrauchs unterstreicht, dass die sichtbar-institutionelle Wirklichkeit der Kirche, zu der auch das Amt gehört, sich jederzeit bewusst sein muss, dass ihre Realität allein in Christus begründet ist und ihm zu dienen hat. Die Kirche ist in diesem Sinne gewissermaßen „Sakrament des Sakramentes“, das Menschliche in der Kirche steht niemals wie das Menschliche in Christus in unmittelbarer, personaler Einheit mit dem Göttlichen.

Überall dort, wo die kirchliche Institution oder die Träger des geweihten Amtes in falscher Hinsicht „vergöttlicht“ werden, liegt ein theologischer Irrtum vor, der überwunden werden muss. Darum dürfen weder Rücksicht auf die objektive Sakralität des Amtes noch die charismatische Autorität einzelner Amtsträger oder ihre Position in der kirchlichen Hierarchie zukünftig noch als Gründe dafür herhalten, um Verbrechen von Klerikern zu relativieren oder zu vertuschen.

 Auf der anderen Seite wäre es ebenso verkehrt, aus der schmerzlichen Erfahrung menschlichen Versagens die unzerstörbare Heiligkeit der Kirche als solche in Frage zu stellen und die undifferenzierte Forderung nach Desakralisierung des priesterlichen Dienstes zu erheben. Gerade weil das geweihte Amt mit „heiliger Vollmacht“ verbunden ist, hat sein Missbrauch den Charakter eines Sakrilegs und stellt deswegen aus der Perspektive des Glaubens einen noch größeren Skandal dar als Amts- und Autoritätsversagen in anderen Bereichen der menschlichen Gesellschaft. Die Kirche ist es an erster Stelle den Opfern schuldig, sexuellen und geistlichen Missbrauch in ihren eigenen Reihen konsequent aufzuklären und zu bekämpfen. Sie steht unter dieser Verpflichtung aber auch deswegen, weil das objektive Wesensmerkmal der Heiligkeit den Maßstab bezeichnet, an dem sich das Handeln der Kirche beurteilen lassen muss und nach dem alle Glieder der Kirche ihre persönliche Existenz beständig formen lassen müssen (vgl. LG 39-42).

An die Opfer des Missbrauchs und ihre Familien

[…] Ich weiß, dass nichts das von Euch Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde missbraucht und Eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch mussten erfahren, dass Euch niemand zugehört hat, als Ihr den Mut gefunden habt, über das zu sprechen, was Euch zugestoßen ist. Diejenigen von Euch, die in Heimen und Internaten missbraucht wurden, müssen gefühlt haben, dass es kein Entkommen aus Eurem Leid gab. Es ist verständlich, dass es schwer für Euch ist zu vergeben oder sich mit der Kirche zu versöhnen. Im Namen der Kirche drücke ich offen die Scham und die Reue aus, die wir alle empfinden. Zugleich bitte ich Euch, die Hoffnung nicht aufzugeben. In der Gemeinschaft der Kirche begegnen wir der Person Jesu Christi, der selbst ein Opfer von Ungerechtigkeit und Sünde war. Wie Ihr trägt er immer noch die Wunden seines eigenen ungerechten Leidens an sich. Er versteht die Tiefe Eures Leides und die fortdauernden Auswirkungen auf Euer Leben und Eure eigenen Beziehungen, einschließlich Eurer Beziehung zur Kirche. Ich weiß, dass es einigen von Euch schwerfällt, eine Kirche zu betreten, nach all dem, was geschehen ist. Aber Christi eigene Wunden, verwandelt durch sein erlösendes Leiden, sind der Weg, durch den die Macht des Bösen gebrochen wird und wir zu Leben und Hoffnung wiedergeboren werden. Ich glaube zutiefst, dass diese heilende Kraft der aufopfernden Liebe Befreiung und die Verheißung eines Neuanfangs bringt – sogar in den dunkelsten und hoffnungslosesten Situationen.

Ich spreche zu Euch als Hirte, der sich um das Wohl aller Kinder Gottes sorgt, und bitte Euch demütig zu bedenken, was ich gesagt habe. Ich bete, dass Ihr durch die Nähe zu Christus und durch die Teilnahme am Leben seiner Kirche – einer durch Buße geläuterten und in der Nächstenliebe erneuerten Kirche – die unermessliche Liebe Christi für jeden von Euch wiederentdecken könnt. Ich bin zuversichtlich, dass Ihr auf diese Weise Versöhnung, tiefe innere Heilung und Frieden finden könnt.

Benedikt XVI., Hirtenbrief an die Katholiken in Irland (19.03.2010)

 

Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens [sc. des sexuellen Missbrauchs] auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht. Die gottgeweihte Person, die von Gott auserwählt wurde, um die Seelen zum Heil zu führen, lässt sich von ihrer menschlichen Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans. In den Missbräuchen sehen wir die Hand des Bösen, das nicht einmal die Unschuld der Kinder verschont. Es gibt keine ausreichenden Erklärungen für diese Missbräuche gegenüber Kindern. Demütig und beherzt müssen wir anerkennen, dass wir vor dem Geheimnis des Bösen stehen, das gegen die Schwächsten erbost ist, weil sie Bild Jesu sind. Deshalb ist in der Kirche das Pflichtbewusstsein gewachsen, nicht nur danach zu streben, den höchst schwerwiegenden Missbräuchen durch Disziplinarmaßnahmen und zivile und kanonische Prozesse Einhalt zu gebieten, sondern auch sich dem Phänomen mit Entschlossenheit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche zu stellen. Sie fühlt sich gerufen, dieses Übel zu bekämpfen, das das Herzstück ihrer Mission berührt: das Evangelium den Kleinen zu verkünden und sie vor den reißenden Wölfen zu schützen. Ich möchte an dieser Stelle klar betonen: Wenn in der Kirche auch nur ein einziger Missbrauchsfall auftreten sollte – der an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt –, so wird dieser Fall mit der größten Ernsthaftigkeit angegangen werden. Brüder und Schwestern, in der gerechtfertigten Wut der Menschen erblickt die Kirche den Widerschein des Zornes Gottes, der von diesen schändlichen Gottgeweihten verraten und geohrfeigt wurde. Das Echo des stillen Schreis der Kleinen, die in ihnen statt Vätern oder geistlichen Begleitern Menschenschinder gefunden haben, wird die durch Scheinheiligkeit und Macht betäubten Herzen erzittern lassen. Wir haben die Pflicht, diesem erstickten stillen Schrei aufmerksam zuzuhören.

Franziskus, Ansprache am Ende der Konzelebration zum Treffen „Der Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ (24.02.2019)

 

Quellen wahrer Kirchenreform

20. Amtliche Vollmacht in der Kirche, so ist deutlich geworden, bedarf einer genuin theologischen Begründung; sie geht auf die Einsetzung durch Christus zurück und wird in der Kraft des Heiligen Geistes verliehen. Es ist verständlich, dass in einer Zeit der fortschreitenden Säkularisierung und einer tiefen Glaubenskrise, die weit vor der (gewiss katalysatorisch wirkenden) Missbrauchskrise ihre Wurzeln hat und mit deren Überwindung nicht beseitigt wäre, der Rekurs auf offenbarungstheologische Vorgaben zur Begründung kirchlicher Ämter und Strukturen bei vielen Menschen generelle Vorbehalte weckt.

Erstaunlicher ist es, wenn selbst von manchen Katholiken die christologische Fundierung des sakramentalen Amtes bereits als ideologische Immunisierung abgelehnt wird. Eine Ekklesiologie in der Linie des Zweiten Vatikanums kann darauf nicht verzichten. Es greift deswegen zu kurz, Pläne für eine Kirchenreform zu entwerfen, die primär am Maßstab gegenwärtiger Formen politischer Machtausübung in demokratischen Gemeinwesen orientiert sind. Konflikte über dogmatische Kernaussagen, die das Amt des Papstes und des Bischofs oder andere Aspekte des Ordo-Sakraments betreffen, wären damit vorprogrammiert.

Stattdessen sind Christinnen und Christen aufgerufen zu fragen, „was der Geist heute der Kirche sagt (vgl. Offb 2,7), um die Zeichen der Zeit zu erkennen, was nicht gleichbedeutend ist mit einem bloßen Anpassen an den Zeitgeist (vgl. Röm 12,2). Alle Bemühungen des Hörens, des Beratens und der Unterscheidung zielen darauf ab, dass die Kirche im Verkünden der Freude des Evangeliums, der Grundlage, auf der alle Fragen Licht und Antwort finden können, täglich treuer, verfügbarer, gewandter und transparenter wird“[15].

21. Als ihren ureigenen letzten und kritischen Maßstab wird die Kirche beim Nachdenken über sich selbst stets die in der Tradition authentisch interpretierte Hl. Schrift heranziehen; auch die ihr durch das Zweite Vatikanum aufgegebene Verpflichtung zum Dialog mit allen Menschen guten Willens setzt diese klare Orientierung voraus. Wie in früheren Jahrhunderten wird sich die Kirche auch heute nicht einseitig an bestimmte politische und gesellschaftliche Systeme binden.

Die Klage über eine angeblich unzureichende Inkulturation der Kirche in demokratischen Gesellschaften geht zuweilen von der unausgesprochenen Prämisse aus, dass in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der Moderne der Geist des Evangeliums reiner zum Ausdruck gelangt sei als in der parallelen Entwicklung der Kirche selbst. Die für den Weg der Kirche in die Zukunft entscheidenden Weisungen werden dann nicht zuerst in Schrift und Tradition, sondern vor allem an „fremden Orten“ (loci alieni) göttlicher Präsenz in der Welt gesucht, was bis zur Umkehrung des Prinzips führen kann, die „Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums zu deuten“ (GS 4). Der Auftrag der Kirche, gesellschaftliche Vorgegebenheiten im Geist der Botschaft Jesu zu verändern und Kritik zu üben, wenn Entwicklungen, selbst demokratisch legitimierte, im Widerspruch zum natürlichen Sittengesetz und zu den Geboten Gottes stehen, tritt damit in den Hintergrund.

Diese Verschiebung der Maßstäbe ist aus offenbarungstheologischer Perspektive kritisch zu beurteilen. Ihr liegt eine Auslegung der Texte des Zweiten Vatikanums zugrunde, die mit Blick auf das Gesamt der konziliaren Lehre nicht überzeugen kann.

22. Damit soll nicht bestritten werden, dass sich die Gestalt kirchlicher Strukturen und der konkrete Umgang mit Macht in der Kirche zu allen Zeiten auch in Wechselwirkung mit den jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Realitäten entwickelt haben. Veränderungen der Werte und Standards in der bürgerlichen Welt lassen die Kirche nicht unberührt. Wie in der Vergangenheit wird die Kirche auch heute von positiven Entwicklungen im säkularen Bereich, sei es in Recht, Verwaltung oder Kultur, profitieren können, indem sie ihre eigenen Strukturen an diesem Maßstab optimiert oder korrigiert, sofern sie es für notwendig und theologisch legitim erachtet (vgl. GS 44). So können auch aktuelle Debatten über Partizipation, Gerechtigkeit und Transparenz zweifelsohne zur Erneuerung der Kirche beitragen. Aber sie sollten nicht deswegen zur Infragestellung katholischer Überzeugungen führen, weil man hofft, dadurch die Distanz der Kirche zur Gesamtgesellschaft verkleinern oder ihren öffentlichen Einfluss absichern zu können.

23. Letztlich ist daran zu erinnern, dass mit den Fragen nach Amt und Machtausübung, so bedeutsam sie sein mögen, nur ein begrenzter Aspekt des Wesens der Kirche in den Blick kommt. Noch einmal sei Papst Franziskus zitiert: „Jesus Christus zeigt sich als der Bräutigam der Eucharistie feiernden Gemeinschaft in der Gestalt eines Mannes, der ihr vorsteht als Zeichen des einen Priesters. Dieser Dialog zwischen Bräutigam und Braut, der sich in der Anbetung vollzieht und die Gemeinschaft heiligt, sollte nicht auf einseitige Fragestellungen hinsichtlich der Macht in der Kirche verengt werden. Denn der Herr wollte seine Macht und seine Liebe in zwei menschlichen Gesichtern kundtun: das seines göttlichen menschgewordenen Sohnes und das eines weiblichen Geschöpfes, Maria“[16].

Die Wirklichkeit der Kirche, so macht der Papst deutlich, bestimmt sich im Letzten aus ihrer liebenden Annahme durch Christus, durch die Aufnahme in einen „neuen und ewigen Bund“. Diese Leben schenkende und heiligende Gemeinschaft, die wir mit dem ehelichen Bund von Mann und Frau als höchster Gestalt zwischenmenschlicher Liebe vergleichen können, wird in jeder Feier der Eucharistie bekräftigt und vertieft. Darin entfaltet die amtliche Christusrepräsentation des Priesters ihren wahren Sinn nur auf dem Hintergrund des marianischen Charakters der Kirche als ganzer. Sie ist Braut Christi, von ihm Erwählte und Empfangende.

Diese Wesensbestimmung geht sachlich allen Formen petrinischer Christusrepräsentation voraus und sollte auch in der Ausübung geistlicher Vollmacht, die amtlichen Charakter hat, stets erkennbar bleiben. Wie die petrinische Dimension der Kirche von der Verleihung der Schlüsselgewalt an diesen Apostel ebenso geprägt ist wie von seinem eklatanten Versagen und Verrat, so begegnet man in der marianischen Wirklichkeit der Kirche ihrer unverlierbaren Begnadung und Heiligkeit durch den Bezug zum reinen Urbild. Es ist diese Begegnung, von der eine Reform der Kirche zu allen Zeiten ihren Ausgang nehmen muss.

In jeder Krise gibt es immer ein begründetes Bedürfnis nach einem aggiornamento: das ist ein Schritt vorwärts. Aber wenn wir wirklich eine solche Aktualisierung wollen, müssen wir den Mut zu einer umfassenden Bereitschaft haben; wir müssen aufhören, die Reform der Kirche als das Flicken eines alten Kleides zu betrachten oder als schlichte Abfassung einer neuen Apostolischen Konstitution. Die Reform der Kirche ist etwas Anderes. Es geht nicht darum, „ein Gewand zu flicken“, denn die Kirche ist kein einfaches „Gewand“ Christi, sondern sein Leib, der die ganze Geschichte umfasst (vgl. 1 Kor 12,27). Wir sind nicht aufgerufen, den Leib Christi zu verändern oder zu reformieren – »Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit«! (Hebr 13,8) – aber wir sind aufgerufen, denselben Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden, damit klar ersichtlich wird, dass die Gnade, die wir besitzen, nicht von uns, sondern von Gott kommt; denn »diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt« (2 Kor 4,7). Die Kirche ist immer ein zerbrechliches Gefäß, wertvoll aufgrund ihres Inhaltes, und nicht aufgrund dessen, was sie manchmal von sich zeigt. (…) Das richtige Verhalten hingegen ist das des »Schriftgelehrten, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist«, und der »einem Hausherrn [gleicht], der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt« (Mt 13,52). Der Schatz ist die Tradition, wie Benedikt XVI. in Erinnerung rief, sie ist »der lebendige Fluss, der uns mit den Ursprüngen verbindet, der lebendige Fluss, in dem die Ursprünge stets gegenwärtig sind, der große Fluss, der uns zum Hafen der Ewigkeit führt« (Katechese, 26. April 2006). Es kommt mir der Ausspruch jenes großen deutschen Musikers in den Sinn: „Die Tradition ist die Wahrung der Zukunft und kein Museum, keine Hüterin der Asche“. Das „Alte“ ist die Wahrheit und Gnade, die wir bereits besitzen. Das Neue sind die verschiedenen Aspekte der Wahrheit, die wir allmählich verstehen. Jenes Wort aus dem fünften Jahrhundert: „Ut annis scilicet consolidetur, dilatetur tempore, sublimetur aetate“: das ist die Tradition, so wächst sie. Keine geschichtliche Weise, das Evangelium zu leben, gelangt je zu einem erschöpfenden Verständnis desselben. Wenn wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen, werden wir »der ganzen Wahrheit« (Joh 16,13) Tag für Tag näherkommen.

Ohne die Gnade des Heiligen Geistes, selbst wenn man beginnt, die Kirche synodal zu denken, wird sie sich, anstatt sich auf die Gemeinschaft in der Gegenwart des Geistes zu beziehen, als eine beliebige demokratische Versammlung verstehen, die sich aus Mehrheiten und Minderheiten zusammensetzt. Wie ein Parlament, zum Beispiel: und das ist nicht die Synodalität. Allein die Gegenwart des Heiligen Geistes macht den Unterschied.

9. Was ist in der Krise zu tun? Zunächst einmal sollte man sie als eine Zeit der Gnade annehmen, die uns gegeben ist, um Gottes Willen für jeden von uns und für die ganze Kirche zu verstehen. Wir müssen uns auf diese scheinbar widersprüchliche Logik einlassen, die uns sagt: »Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark« (2 Kor 12,10). Wir müssen uns an die Zusicherung erinnern, die der heilige Paulus den Korinthern gegeben hat: »Gott ist treu; er wird nicht zulassen, dass ihr über eure Kraft hinaus versucht werdet. Er wird euch mit der Versuchung auch einen Ausweg schaffen, sodass ihr sie bestehen könnt« (1 Kor 10,13).

Von grundlegender Bedeutung ist es, den Dialog mit Gott nicht zu unterbrechen, auch dann nicht, wenn es mühsam ist. Beten ist nicht leicht. Wir dürfen nicht müde werden, allezeit zu beten (vgl. Lk 21,36; 1 Thess 5,17). Wir kennen keine andere Lösung für die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, als mehr zu beten und gleichzeitig mit mehr Vertrauen alles zu tun, was uns möglich ist. Das Gebet wird uns befähigen, entgegen aller Erwartungen dennoch zu hoffen (vgl. Röm 4,18).

Franziskus, Ansprache beim traditionellen Weihnachtsempfang für die römische Kurie (21.12.2020), n. 8-9 

Das den Männern vorbehaltene Priestertum als Zeichen Christi, des Bräutigams, der sich in der Eucharistie hingibt, ist eine Frage, die nicht zur Diskussion steht, kann aber Anlass zu besonderen Konflikten geben, wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht verwechselt wird. Man darf nicht vergessen, dass wir uns, wenn wir von priesterlicher Vollmacht reden, »auf der Ebene der Funktion und nicht auf der Ebene der Würde und der Heiligkeit« [Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. 12. 1988), n. 51] befinden. Das Amtspriestertum ist eines der Mittel, das Jesus zum Dienst an seinem Volk einsetzt, doch die große Würde kommt von der Taufe, die allen zugänglich ist. Die Gleichgestaltung des Priesters mit Christus, dem Haupt – das heißt als Hauptquelle der Gnade – schließt nicht eine Erhebung ein, die ihn an die Spitze alles Übrigen setzt. In der Kirche begründen die Funktionen »keine Überlegenheit der einen über die anderen«.[Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Inter insigniores (15. 10. 1976), n. VI] Tatsächlich ist eine Frau, Maria, bedeutender als die Bischöfe. Auch wenn die Funktion des Amtspriestertums sich als „hierarchisch“ versteht, muss man berücksichtigen, dass sie »ganz für die Heiligkeit der Glieder Christi bestimmt« ist. [Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. 8. 1988), n. 27] Ihr Dreh- und Angelpunkt ist nicht ihre als Herrschaft verstandene Macht, sondern ihre Vollmacht, das Sakrament der Eucharistie zu spenden; darauf beruht ihre Autorität, die immer ein Dienst am Volk ist.

Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24.11.2013), n. 104.


 

III. Thesen zu einem veränderten Umgang mit Macht und Machtmissbrauch in der Kirche

 

  1. Die Heiligkeit der Kirche verhindert Fehler nicht. In der Kirche muss bezogen auf Amts- und Funktionsträger wie auf Getaufte und Gefirmte jederzeit mit der Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit des Menschen und deshalb auch mit individuellem und institutionellem Fehlverhalten gerechnet werden, nicht zuletzt im Umgang mit Macht. Deshalb braucht es neben dem grundlegenden Vertrauen in die unzerstörbaren Ressourcen der Heiligkeit, die der Herr seiner Kirche geschenkt hat, eine beständige Reformwilligkeit, die beständige Hinkehr und Neuausrichtung aller Glieder der Kirche auf die Vorgabe Jesu. Notwendig ist eine stetige Besinnung auf das, was die Kirche nachweislich in der Vergangenheit vor bestimmten Missständen geschützt hat und was sie auch zukünftig davor bewahren kann. Gleichwohl muss der Irrtum vermieden werden, dass Menschen eine neue, bessere Kirche an die Stelle der alten setzen könnten. Eine solche Form von Selbstüberschätzung würde den Unterschied der Kirche zu rein menschlichen Institutionen unberücksichtigt lassen und zwangsläufig zu neuen Formen von Machtmissbrauch führen.
  1. Es wurden und werden Fehler gemacht. Falsche Haltungen haben vielfältige Ausformungen von sexuellem und geistlichem Missbrauch begünstigt und deren Aufarbeitung bzw. Prävention behindert. Zu den sicher feststehenden Ursachen von Machtmissbrauch in der Kirche gehören eine irrige Divinisierung von Institution und Amt, die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen in seelsorglichen Beziehungen, die folgenschwere Annahme, als Täter durch die Institution geschützt zu sein, und die Tabuisierung von Sexualität und ihren pathologischen Ausprägungen. Zu den Faktoren, die die Aufarbeitung bzw. Prävention solchen Missbrauchs behindert haben, zählen die Absicht, die kirchliche Institution vor jedweder Kritik zu schützen, die fehlende Kenntnis humanwissenschaftlicher Bewertungen von sexuellem Missbrauch, naives Vertrauen in psychiatrische oder psychologische Gutachten, die sich aus heutiger Sicht als unzuverlässig erwiesen haben, sowie ein fragwürdiges Verständnis von Barmherzigkeit bei der Anwendung des kanonischen Strafrechts. Die Schonung der Missbrauchstäter, die ausbleibende Zuwendung gegenüber den Opfern und eine fehlende Identifizierung systeminterner Fehler haben zusätzlich die Aufdeckung und Vorbeugung des Missbrauchs erschwert. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich in der Kirche neben sexuellem und geistlichem Missbrauch immer auch weitere Formen von Machtmissbrauch etablieren können, wie finanzielle Korruption, bewusste Nicht-Wahrnehmung von Verantwortung, oder manipulatives Verhalten in hierarchisch gegliederten dienstlichen Verhältnissen. Auch solchen Formen gilt es entgegenzuwirken.
  1. Es muss sich etwas ändern. Um Machtmissbrauch im Raum der Kirche (vor allem präventiv) entgegenwirken zu können, bedarf es a) der Anerkennung der Opfer in Vorordnung zu allen institutionellen Interessen; b) einer sorgfältigen Auswahl und Qualifizierung aller Personen, die in der Kirche eine Funktion ausüben; dazu gehört nicht nur die Kenntnis des rechtlichen Rahmens ihrer jeweiligen Aufgabe, sondern die solide Ausbildung, insbesondere mit Bezug auf die angemessene Gestaltung aller Nähe-Distanz-Verhältnisse und die Missbrauchsprävention; c) einer größtmöglichen Transparenz bei innerkirchlichen Entscheidungen und ihrer Begründung, d) einer klaren Bestimmung der Grenzen der jeweiligen Amtsgewalt, e) einer deutlichen Ausformung und Umsetzung des kirchlichen (Straf-)Rechts und der Verfahrensordnungen im Umgang mit (substantiiert) beschuldigten Klerikern und Laien, f) der Entwicklung angemessener, unabhängiger Kontrollinstrumente, g) der vorbehaltlosen und umfassenden Kooperation kirchlicher Stellen mit der staatlichen Justiz, um Verbrechen zur Anzeige zu bringen und die Täter ihrer Bestrafung auch nach weltlichem Recht zuzuführen.
  1. Machtmissbrauch muss konsequent angezeigt und verfolgt werden. Es bedarf in allen Diözesen der Einrichtung bzw. institutionellen Absicherung von Anlaufstellen für Opfer innerkirchlichen Machtmissbrauchs, von Interventionsinstanzen und unabhängigen Kontrollinstrumenten. In jeder Diözese muss es verlässliche Anlaufstellen geben, die bei Machtmissbrauch jeder Art, aber auch Leitungskonflikten angerufen werden können und die den Betroffenen einen geschützten Raum bieten, um ihre Klagen und Anliegen vorzubringen. Hier kann bereits erste therapeutische Begleitung und Unterstützung vermittelt und gegebenenfalls eine Intervention veranlasst werden. Ergibt sich ein substantiierter Verdacht, so muss in der Diözese sichergestellt sein, dass der Fall zuverlässig nach den objektiven Maßstäben kirchlichen Rechts beurteilt und entschieden wird. Dies schließt auch eine Meldung an den Heiligen Stuhl ein. Es soll eine Institution geben, die den Anspruch der Opfer auf Entschädigung in Anerkennung ihres Leides nachvollziehbar überprüft und nach möglichst einheitlichen Kriterien für das Gebiet der DBK Mittel zuweist. Mutmaßliche Straftatbestände werden in jedem Fall auch bei der staatlichen Justiz zur Anzeige gebracht, jedoch nicht gegen den Willen des mutmaßlichen Opfers oder dessen sorgeberechtigter Person; diese Ausnahme gilt nicht, wenn es Hinweise auf weitere Opfer gibt. Die Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Raum der Kirche mit Hilfe unabhängiger Kommissionen und staatlicher Instanzen soll vorangetrieben werden.
  1. Wichtige Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein. Personalentscheidungen und gravierende Sachentscheidungen erfordern Transparenz. Sie sind in schriftlicher Form inhaltlich zu begründen. Nur so wird Nachprüfbarkeit gewährleistet und ist gegebenenfalls Einspruch möglich. Personalakten sind sorgfältig und manipulationssicher nach den besten verwaltungstechnischen Standards zu führen und müssen Verfehlungen kirchlicher Mitarbeiter verlässlich dokumentieren. Vor jeder Personalentscheidung sind die entsprechenden Akten einzusehen.
  1. Die Kirche muss ihre Kommunikation verbessern. Um Teilhabe an kirchlichen Entscheidungsprozessen und deren Überprüfbarkeit zu fördern, ist eine Optimierung kirchlicher Kommunikation sowohl nach innen als auch nach außen notwendig. Dazu gehören die weitere Professionalisierung von Presse- und Medienarbeit und die verstärkte Einbeziehung von Medienschulungen in die kirchliche Aus- und Weiterbildung.
  1. Es braucht mehr Synodalität auf allen Ebenen der Kirche. „Die Synodalitätals konstitutive Dimension der Kirche bietet uns den geeignetsten Interpretationsrahmen für das Verständnis des hierarchischen Dienstes selbst“ (Papst Franziskus[17]). In der Gemeinschaft der Kirche muss „zwischen dem Prozess der Erarbeitung einer Entscheidung (decision-making) durch gemeinsame Unterscheidung, Beratung und Zusammenarbeit und dem pastoralen Treffen einer Entscheidung (decision-taking) unterschieden werden, das der bischöflichen Autorität zusteht, dem Garanten der Apostolizität und der Katholizität. Die Erarbeitung ist eine synodale Aufgabe, die Entscheidung ist eine Verantwortung des Amtes“[18]. Dieses Prinzip ermöglicht die Berücksichtigung synodaler Strukturen auf allen Ebenen der Kirche und deren umfassende Einbeziehung in Entscheidungsprozesse. Um Menschen für die Beteiligung an diesen Prozessen zu motivieren, ist es unerlässlich, Beratungs- bzw. Entscheidungsrechte verlässlich zu definieren. Zu jeder verantwortlichen Entscheidung durch kirchliche Amtsträger gehört die Konsultation der zuständigen Gremien, die Berücksichtigung der durch sie vorgebrachten Argumente und der von ihnen verabschiedeten Voten. Im Falle eines Dissenses besteht für alle Beteiligten die Möglichkeit, Entscheidungen gemäß kirchenrechtlichen Vorgaben durch die nächsthöhere kirchliche Instanz überprüfen zu lassen.
  1. Kirchliche Ämter und Dienste verlangen klare Profile. Für alle Kirchenämter im engeren Sinn (vgl. CIC, can. 145 § 1), aber auch für (haupt- wie ehrenamtlich) auf Dauer in der Kirche übernommene Funktionen werden schriftlich Profile formuliert, denen eindeutig zu entnehmen ist, worin Voraussetzungen, Kompetenzen und Beschränkungen überantworteter Macht bestehen. Hilfreich kann die schriftliche Formulierung konkreter Zielvereinbarungen sein, in denen mit Hinblick auf eine bestimmte Aufgabe das Verhältnis zu anderen Ämtern und Diensten in der Kirche verlässlich beschrieben wird. Damit wird einer Rechtsunsicherheit und einer heimlichen Ausweitung von Macht bzw. der Ausübung von „Schattenherrschaft“ vorgebeugt und Partizipation verlässlich sichergestellt. Jede Diözese erlässt dazu verbindliche Vorgaben für die in ihrem Bereich ausgeübten kirchlichen Ämter und die wichtigsten (haupt- wie ehrenamtlichen) Dienste.
  1. Laien müssen stärker einbezogen werden. Die Berufung von Laien, deren Apostolat grundsätzlich „Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst“ ist, „zu unmittelbarerer Mitarbeit mit dem Apostolat der Hierarchie“ (LG 33) ist weiter auszugestalten. Das Kirchenrecht sieht die Möglichkeit vor, Getaufte und Gefirmte, die nicht das Weihesakrament empfangen haben, in die Ausübung von Leitungsgewalt einzubeziehen (CIC, can. 129 § 2). Ihnen können Kirchenämter (vgl. CIC c. 145) übertragen werden, sofern es nicht um solche geht, die „der umfassenden Seelsorge“ dienen und deswegen die Priesterweihe voraussetzen (CIC, can. 150). Schon jetzt sind Laien in vielfältige Ämter der Bistumsverwaltung, der pfarrlichen und kategorialen Seelsorge sowie der Glaubensverkündigung und theologischen Forschung und Lehre einbezogen. In diesen Tätigkeiten bringen Christinnen und Christen ihre geistlichen Charismen und professionellen Kompetenzen zum Wohl der kirchlichen Gesamtsendung ein (vgl. CIC c.204 §1). Den Ortskirchen eröffnen sich hier vielfältige Wege der Konkretisierung, wie in Deutschland etwa die seit langem bewährten hauptamtlichen pastoralen Dienste oder die in jüngerer Zeit vermehrt geschaffenen Positionen hauptamtlicher Verwaltungsleiter in Pfarreien bzw. Pfarreienverbünden belegen. Durch den erweiterten Zugang zu den Laiendiensten der Lektoren und Akolythen (MP Spiritus Domini, 10.01.2021) sowie der Einrichtung des laikalen Dienstes des Katechisten (MP Antiquum ministerium, 10.05.2021) hat Papst Franziskus jüngst neue Wege für den intensivierten Einsatz aller Glieder der Kirche im Werk der Evangelisierung aufgezeigt. Hier wie bei der Besetzung aller Ämter und Dienste, die das Weihesakrament nicht voraussetzen, sind nach Möglichkeit Frauen und Männer in gleicher Weise zu berücksichtigen.
  1. Kooperative Leitungsformen sind fortzuentwickeln. Auch wenn die Leitung einer Pfarrei dem mit der Priesterweihe ausgestatteten Pfarrer vorbehalten ist (CIC c. 517/519), können andere Personen in die Ausübung seiner Hirtensorge einbezogen werden (c. 517 § 2). In diesem Fall ist es notwendig, dass bei der Übertragung von (Leitungs-) Kompetenzen an Getaufte und Gefirmte, die nicht das Weihesakrament empfangen haben, und in der Zuordnung von Verantwortlichkeiten Klarheit besteht. Dafür sind in den Diözesen partikularrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die der klaren Profilierung der verschiedenen Ämter und Dienste dienen und auch eine Beschwerdeordnung bei Konflikten umfassen.
  1. Fachliche und geistliche Qualifizierung ist unerlässlich. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass die geweihten Amtsträger sowie alle Getauften und Gefirmten, die für bestimmte Dienste beauftragt werden, fachlich und geistlich hinreichend qualifiziert sind. Sakramentale Voraussetzungen allein (Taufe und Firmung bzw. Weihe) garantieren noch nicht, dass jemand die für die Wahrnehmung eines Leitungsamtes geforderten Qualifikationen tatsächlich besitzt. Mit der Vergrößerung pastoraler Räume, der Etablierung neuer Formen kooperativer Pastoral und den sich wandelnden gesellschaftlichen Bedingungen verändern sich die Anforderungen an die Träger von Leitungsverantwortung im Raum der Kirche. Ihre Ausübung setzt darum auf allen Ebenen (Bistum, Dekanat, Pfarrei, Verbänden und Vereinen) konstante Fort- und Weiterbildung sowie eine solide geistliche Formation voraus. Alle Bistümer haben für die Qualifizierung von Amts- und Funktionsträgern verbindliche Rahmenordnungen festzulegen. Möglichkeiten der Kooperation zwischen verschiedenen Bistümern sollen genutzt werden.
  1. Die Ernennung kirchlicher Amtsträger muss transparent erfolgen. Bei der Bestellung von kirchlichen Amtsträgern soll innerkirchliche Partizipation gefördert werden. Dazu ist im Vorfeld durch die zuständigen Ernennungsinstanzen verbindlich eine Profilbeschreibung der zu besetzenden Stelle zu erarbeiten. Die Stelle wird unter Angabe des Stellenprofils öffentlich ausgeschrieben. Die Prüfung der Qualifikation der möglichen Bewerber bzw. Kandidaten erfolgt unter Anhörung synodaler Gremien, die auch ein Votum zur Stellenbesetzung abgeben. Die im Hinblick auf eine Ernennung getroffene Entscheidung ist schriftlich zu dokumentieren und zu begründen. Bestehende Mitwirkungsrechte, die über die Anhörung hinausgehen (Wahl- und Präsentationsrechte), bleiben erhalten.
  1. Die Gemeinde braucht mehr Mitsprache bei der Besetzung von Pfarrstellen. Vor der Ernennung eines Pfarrers wird der zuständige Pfarrgemeinderat vom Bischof aufgefordert, Wünsche und Erwartungen bezüglich der seelsorglichen Schwerpunkte in schriftlicher Form einzureichen. Der Bischof wird diese Voten in angemessener Weise berücksichtigen. Er bleibt in seiner Entscheidung frei, der Pfarrgemeinderat hat aber Anspruch darauf, dass ihm die Personalentscheidung des Bischofs erläutert wird. Bei der Ernennung für andere geistliche Ämter sind in analoger Weise die zuständigen Räte auf der Ebene des Dekanats oder der Diözese einzubeziehen. Die Beratungen sind streng vertraulich, damit die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Kandidaten gewahrt bleiben. Nachgewiesene Verstöße gegen die Vertraulichkeitsverpflichtung können bei Anlaufstelle für Leitungskonflikte (s.o. 4) angezeigt werden und müssen, wenn sie nachgewiesen werden können, durch den unverzüglichen Ausschluss aus dem entsprechenden Rat geahndet werden.
  1. Vor Bischofsernennungen sollen weitere Vorschläge einbezogen werden. Diözesane Räte sowie das Domkapitel machen separat Personalvorschläge im Vorfeld von Bischofsernennungen. Die Benennung geeigneter Kandidaten erfolgt streng vertraulich. Die Listen der Räte sind so anzufertigen, dass eine Priorisierung möglicher Kandidaten erkennbar ist. Eine Zusammenstellung aller Listen wird durch den Diözesanadministrator dem Heiligen Stuhl zugeleitet. Die Wahl bzw. Ernennung des Bischofs erfolgt gemäß den geltenden Konkordaten. Ob bei einer Bischofswahl durch das Domkapitel zukünftig auch Laien direkt beteiligt werden können, etwa vergleichbar den nicht residierenden Domkapitularen, bleibt der zukünftigen Fortentwicklung des Konkordatsrechts vorbehalten.

 

[1] Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Katholische Kirche in Deutschland Zahlen und Fakten 2019/20.

[2] https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Priesterweihen_Neupriester/2018-Neupriester-Priesterweihen_1962-2018.pdf

[3] Franziskus, Apost. Schreiben Evangelii Gaudium (24.11.2013), n. 26.

[4] Ebd. n. 120.

[5] Franziskus, Apost. Schreiben Patris corde (08.12.2020), n. 5.

[6] Vgl. Hans Urs von Balthasar, Casta meretrix, in: Ders., Sponsa Verbi. Skizzen zur Theologie II, Einsiedeln 1961, 203-305.

[7] Vgl. Thomas von Aquin, S. th.  III, 82, 8 ad 2.

[8] Franziskus, Nachsyn. Apost. Schreiben Querida Amazonia (02.02.2020), n. 88.

[9] Vgl. auch DBK, „Gemeinsam Kirche sein“. Wort der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral (01.08.2015), Kap. 1 und 2.

[10] Internationale Theologische Kommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (2018), n. 42.

[11] Kongregation für den Klerus, Instruktion Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche (20.07.2020), n. 66.

[12] Vgl. ebd. n. 87-93.

[13] Vgl. Franziskus, Brief an das pilgernde Volk Gotte in Deutschland (29.06.2019), n. 10.

[14] https://mariendonk.de/index.php/blog [Eintrag vom 05.02.2021].

[15] Franziskus, Brief an das pilgernde Gottesvolk in Deutschland (29.06.2019), n. 8.

[16] Franziskus, Nachsyn. Apost. Schreiben Querida Amazonia (02.02.2020), n. 101.

[17] Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode (17.10.2015). URL: http://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151017_50-anniversario-sinodo.html

[18] Internationale Theologenkommission, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche (2018), n. 69.


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