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25. September 2019 | Hinführung zum Brief von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland

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Autor: Rainer Kardinal Woelki
Quelle:
https://www.erzbistum-koeln.de

Bischofskonferenz, Fulda, 25. September 2019

Liebe Mitbrüder!

Am Ende seines Briefes vom 29. Juni 2019 an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland[1] drückt Papst Franziskus seine große Nähe zu uns allen aus. Er versichert uns nachdrücklich: „Ich möchte euch zur Seite stehen und euch begleiten in der Gewissheit, dass, wenn der Herr uns für würdig hält, diese Stunde zu leben, Er das nicht getan hat, um uns angesichts der Herausforderungen zu beschämen oder zu lähmen. Vielmehr will er, dass Sein Wort einmal mehr unser Herz herausfordert und entzündet, wie Er es bei euren Vätern getan hat, damit eure Söhne und Töchter Visionen und eure Alten wieder prophetische Träume empfangen (cf. Joel 3,1)“.

Welch ein tröstliches und zugleich ermutigendes Wort unseres Heiligen Vaters! Ein Wort, das an alle Brüder und Schwestern in Deutschland gerichtet ist, das wir als Bischöfe aber auch in einer persönlichen Weise auf uns angewendet sehen dürfen. Empfangt den Trost und den Mut, die aktuelle Situation als geschenkte Zeit des Herrn anzunehmen und sie mit Seinem Wort zu füllen – so könnten wir diesen väterlichen Rat des Papstes zusammenfassen.

Auf der Grundlage dieser Worte möchte ich im Folgenden versuchen, einen Zugang zum Verständnis des Papstbriefes zu legen, indem ich in einem ersten Schritt seine Struktur beleuchte und einige thematische Vertiefungen vornehme, um in einem zweiten Schritt Konsequenzen zu benennen, die sich meines Erachtens daraus – auch und gerade für uns als Bischöfe – ergeben. Ich möchte mich bei meinen Ausführungen bewusst eng an den Brieftext halten.

1.     Struktur des Papstbriefes

Nach der wiederholten intensiven Lektüre des Papstbriefes erscheint dieser von seiner inneren Struktur her von einem zentralen Thema bestimmt zu sein, um das herum sich weitere Themen wie in konzentrischen Kreisen auftun.

1.1   Primat der Evangelisierung

Das Hauptanliegen wird in der Mitte des Briefes benannt. Der Papst markiert den Begriff vom „Primat der Evangelisierung“. Alles kirchliche Handeln muss und kann nur unter diesem Aspekt gesehen werden, da er uns mit der Sendung des Herrn verbindet (vgl. Mk 16,15-18), ohne die die Kirche nicht existiert, ohne die wir nicht wären. Kirchliche Existenz ist Sendung vom Herrn her, um das Evangelium, die Frohe Botschaft vom Heil Gottes für den Menschen, in Wort und Tat zu verkündigen. Die Sendung des Herrn führt aus der Mitte der Kirche, aus der Gemeinschaft mit ihm in die Welt heraus. Das gilt auch und vor allem in Zeiten der Krise und der notwendigen Erneuerung. Daher konstatiert Papst Franziskus:

„Pastorale Bekehrung ruft uns in Erinnerung, dass die Evangelisierung unser Leitkriterium schlechthin sein muss, unter dem wir alle Schritte erkennen können, die wir als kirchliche Gemeinschaft gerufen sind, in Gang zu setzen; Evangelisieren bildet die eigentliche und wesentliche Sendung der Kirche“ (Nr. 6).

Obwohl es opportun und legitim wäre, dient diese Rückbesinnung auf die Evangelisierung gemäß Papst Franziskus aber nicht primär einfach der Gewinnung neuer Mitglieder: „Nein, die Evangelisierung ist ein Weg der Jüngerschaft in Antwort auf die Liebe zu Dem, der uns zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,19); ein Weg also, der einen Glauben ermöglicht, der mit Freude gelebt, erfahren, gefeiert und bezeugt wird. Die Evangelisierung führt uns dazu, die Freude am Evangelium wiederzugewinnen, die Freude, Christen zu sein“ (Nr. 7).

Deshalb stellt Papst Franziskus die Notwendigkeit der „Selbstevangelisierung“ (Nr. 7) als unverzichtbare Voraussetzung für ein evangelisierendes Handeln der Kirche heraus. Sie ist als Vertiefung der persönlichen Christusfreundschaft zu verstehen, die im eigenen Umgang mit dem Wort Gottes, im Feiern und Empfangen der Sakramente, im Eintauchen in Tradition und Lehre der Kirche, im Tätigwerden des Glaubens in Liebe und Wahrheit jeden Tag erneuert und vertieft werden muss. Wir Bischöfe sind Freunde Christi, wenn wir bereit sind, gemäß unserer sakramentalen Weihe mit Christus zu sein und uns von ihm jeden Tag senden zu lassen. Es geht bei der Selbstevangelisierung also um das beständige

Wiederauffinden der Freude, die uns im Glauben und in der Nachfolge Jesu Christi geschenkt ist. Wir sind daher sozusagen die „Erstberufenen“ der Selbstevangelisierung, wenn wir uns von Papst Franziskus in unserem Handeln des Synodalen Weges unter den „Primat der Evangelisierung“ stellen lassen.

Um diese wiedergewonnene Freude im Glauben an den dreifaltigen Gott dann auch mit unseren Brüdern und Schwestern, für die wir Sorge tragen, und mit allen Mitmenschen zu teilen, müssen „wir uns öffnen und hinausgehen, um unseren Brüdern und Schwestern zu begegnen, besonders jenen, die an den Schwellen unserer Kirchentüren, auf den Straßen, in den Gefängnissen, in den Krankenhäusern, auf den Plätzen und in den Städten zu finden sind. ... Das bedeutet mitzuhelfen, dass das Leiden Christi wirklich und konkret jenes vielfältige Leiden und jene Situationen berühren kann, in denen sein Angesicht weiterhin unter Sünde und Ungleichheit leidet“ (Nr. 8).

Joseph Ratzinger formulierte das einmal in einem Beitrag wie folgt: „Evangelisieren heißt die Menschen mit Jesus bekanntmachen, […] bedeutet, die Menschen in die Lebensgemeinschaft mit ihm hineinführen, in die Jüngergemeinschaft als Gemeinde, die mit ihm auf dem Wege ist“.[2] Es muss folglich in all unserem Handeln um Christus gehen. Dem „Primat der Evangelisierung“, den uns Papst Franziskus ins Herz schreibt, eignet eine Christozentrik, wohlwissend, dass der Herr immer in der Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist steht. Das ist das indispensable Vorzeichen für unseren Synodalen Weg, das sich wie ein roter Faden durchziehen muss, damit der Synodale Weg wahre Früchte tragen kann. Daran lässt der Papstbrief keinen Zweifel.

Um diesen inneren Kern seines Briefes verortet Papst Franziskus dann in konzentrischen Kreisen verschiedene Themen und Aussagen, die mit dem zentralen Thema in Verbindung stehen und sich zugleich an unsere konkrete Situation richten.

1.2   Ermutigung zum Synodalen Weg

Ein erstes Thema sehe ich in der grundsätzlichen Ermutigung des Papstes, den Synodalen Weg im Blick auf die evangelisierende Erneuerung der Kirche zu gehen. Er bestärkt uns darin und will uns dabei unterstützen. Der Heilige Vater teilt dafür unsere „Sorge um die Zukunft der Kirche in Deutschland“ (Nr. 1) sowie un-

seren Eindruck, dass der Umbruch, den wir gerade erleben, geradezu eine „Zeitenwende“ (Nr. 1) darstellt. Er verschweigt wie schon in seiner Ansprache an uns anlässlich des Ad-Limina-Besuches vom November 2015[3] nicht „die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens ... mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt“ (Nr. 2). Und so möchte er uns ausdrücklich seine „Unterstützung anbieten, [seine] Nähe auf dem gemeinsamen Weg kundtun und zur Suche nach einer freimütigen Antwort auf die gegenwärtige Situation ermuntern“ (Einleitung). Unserer Ermutigung dient dabei auch der ausführliche Hinweis des Papstes darauf, dass die Katholische Kirche in Deutschland nicht nur über materiellen Reichtum verfügt, sondern auch über einen beachtlichen geistlichen Schatz, der sich immer wieder neu entdecken, heben und nutzen lässt (vgl. Nr. 1).

1.3     Weg unter der Führung des Heiligen Geistes

Einen zweiten konzentrischen Kreis bilden die Aussagen von Papst Franziskus zur inneren Ausrichtung des Synodalen Weges. Der synodale Weg muss „unter der Führung des Heiligen Geistes“ (Nr. 3) stehen. Er ist folglich primär als geistlicher Prozess anzulegen, der der Erneuerung der Kirche und ihrer Sendung dienen will.

Der Synodale Weg birgt bisher jedoch neben seinen Chancen auch das große Risiko, vornehmlich, ja beinahe ausschließlich strukturelle Änderungen in den Blick und schließlich auch in Angriff zu nehmen. Man sagt zwar, sie besäßen eine Relevanz für die Evangelisierung. Zugleich berühren sie aber zentrale Elemente der Glaubenslehre und der kirchlichen Verfasstheit, die in der Gefahr stehen, mit sogenannten Strukturveränderungen preisgegeben zu werden. Die vier bisherigen Synodalforen und ihre Themen sprechen dazu Bände.

Dieses Risiko einer strukturellen Fixierung gehört nach den Worten des Papstes zu den „subtile[n] Versuchungen“ (Nr. 4). Selbstverständlich müssen von Zeit zu Zeit  organisatorische  und  strukturelle  Anpassungen  vorgenommen  werden. Aber weil sich unser Problem insbesondere der Glaubenskrise als umfassend darstellt, muss unsere Reaktion und unser synodales Arbeiten ebenso umfassend ausfallen: „[…] wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel“ (Nr. 5).

Dieser Aspekt ist Papst Franziskus offenkundig so wichtig, dass er ihn nicht kurz und bündig abhandelt, sondern förmlich darum kreist. Als „eine der ersten und größten“ der schon angesprochenen Versuchungen nennt er wiederholt die irrige Meinung, „dass die Lösungen der derzeitigen und zukünftigen Probleme ausschließlich auf dem Wege der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung zu erreichen sei, ... [die] aber schlussendlich in keiner Weise die vitalen Punkte berühren, die eigentlich der Aufmerksamkeit bedürfen“ (Nr. 5). Die Wurzel dieser Fehlhaltung sieht der Papst in Übereinstimmung mit seinen vorausgehenden Schreiben und Dokumenten in „eine[r] Art neuen Pelagianismus, der dazu führt, unser Vertrauen auf die Verwaltung zu setzen, auf den perfekten Apparat. Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert aber das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen“ (Nr. 5). An dieser Stelle ist der Heilige Vater ganz er selbst. Natürlich weiß auch er, dass man Organisation und Strukturen nicht außer Acht lassen kann. Trotzdem hat für ihn nicht die äußere Gestalt Priorität, sondern der innere, formende und prägende Geist.

Diese Überzeugung des Papstes lässt sich übrigens auch im Denken seiner Vorgänger ausmachen. In seiner Enzyklika Sollicitudo rei socialis (1987)[4] bezeichnet Papst Johannes Paul II. es beispielsweise als „nicht verfehlt, von 'Strukturen der Sünde' zu sprechen“, betont allerdings in demselben Atemzug, dass diese „in persönlicher Sünde ihre Wurzeln haben und daher immer mit konkreten Taten von Personen zusammenhängen, die solche Strukturen herbeiführen, sie verfestigen und es erschweren, sie abzubauen. Und so verstärken und verbreiten sie sich und werden zur Quelle weiterer Sünden, indem sie das Verhalten der Menschen negativ beeinflussen“ (Nr. 36). Folgerichtig merkt dann 20 Jahre später der mittlerweile emeritierte Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Spe salvi[5] an, dass „auch die besten Strukturen nur [funktionieren], wenn in einer Gemeinschaft Überzeugungen lebendig sind, die die Menschen zu einer freien Zustimmung zur gemeinschaftlichen Ordnung motivieren können. ... Gäbe es Strukturen, die unwiderruflich eine bestimmte – gute – Weltverfassung herstellen, so wäre die Freiheit des Menschen negiert, und darum wären dies letztlich auch keine guten Strukturen“ (Nr. 24).

An der Stelle von Strukturen, die alle Gläubigen zu einem Wohlverhalten unabhängig von innerer Einsicht und Überzeugung zwingen, soll nach dem Willen von Papst Franziskus die Freude am Evangelium stehen. Mit rein äußeren Reformen „käme man vielleicht zu einem gut strukturierten und funktionierenden, ja sogar 'modernisierten' kirchlichen Organismus; er bliebe jedoch ohne Seele und ohne die Frische des Evangeliums. Wir würden lediglich ein 'gasförmiges', vages Christentum, aber ohne den notwendigen 'Biss' des Evangeliums, leben“ (Nr. 5). Nicht die perfekt ausgearbeitete Strukturreform bringt uns auf dem Synodalen Weg voran, nicht so sehr „Prognosen, Berechnungen oder [...] Umfragen, [...] ebenso wenig [...] unsere Pastoralplanungen“ (Nr. 6), sondern die von der unbändigen Kraft des Heiligen Geistes geschenkte Freude am Evangelium.

1.4     Echte Synodalität

Einen dritten konzentrischen Kreis sehe ich in dem Bemühen des Heiligen Vaters, den Synodalen Weg in seiner Authentizität durch zwei entscheidende Pole auszurichten, die ihn in seiner echten Synodalität ausweisen sollen. Zum einen als

„Synodalität von unten nach oben“ (Nr. 3), welche „die Existenz und die ordnungsgemäßen Funktionsvorgänge der Diözese, der Räte, der Pfarrgemeinden“ sowie „die Beteiligung der Laien“ (Nr. 3) voraussetzt. In diesem Sinne ist es für Papst Franziskus „nicht möglich, eine große Synode zu halten, ohne die Basis in Betracht zu ziehen“ (Nr. 3). Zum anderen ist es für ihn im Sinne der „Synodalität von oben nach unten“ (Nr. 3) wichtig, „in spezifischer und besonderer Weise die kollegiale Dimension des bischöflichen Dienstes und des Kirche-Seins zu leben. Nur so gelangen wir in Fragen, die für den Glauben und das Leben der Kirche wesentlich sind, zu reifen Entscheidungen“ (Nr. 3).

Damit erinnert uns Papst Franziskus meines Erachtens in aller Eindeutigkeit an zwei entscheidende Aspekte der kirchlichen Verfassung, die für unseren Synodalen Weg indispensabel sind. Einerseits gilt es, die breite Beteiligung von Gläubigen aus allen Bereichen kirchlichen Lebens zu ermöglichen, die eine gewisse Repräsentanz des Gottesvolkes darstellen. Ihnen kommt aus der Kraft von Taufe und Firmung das hohe und verantwortungsvolle Gut der Beratung jener Themen zu, die in den Mittelpunkt des Synodalen Weges gestellt werden. Andererseits betont Papst Franziskus unser bischöfliches, kollegiales Lehrund Leitungsamt, das für die „reifen Entscheidungen“ zur bindenden Grundlage werden muss. Das Gutachten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 1. August 2019 unternimmt dafür die der kirchlichen Struktur eigene und hilfreiche Unterscheidung „zwischen dem Prozess der Erarbeitung einer Entscheidung (decision-making) durch gemeinsame Unterscheidung, Beratung und Zusammenarbeit sowie dem pastoralen Treffen einer Entscheidung (decision-taking) […], das der bischöflichen Autorität zusteht, dem Garanten der Apostolizität und der Katholizität“. Der Kernsatz scheint mir dies prägnant zu formulieren und als Maßgabe für das Statut zum Synodalen Weg vorzugeben: „Die Erarbeitung ist eine synodale Aufgabe, die Entscheidung ist eine Verantwortung des Amtes“.

1.5   Universalkirchliche Dimension

Ein vierter konzentrischer Kreis lässt sich im Papstbrief in der erkennbaren Betonung der universalkirchlichen Dimension ausmachen. Der Synodale Weg darf nicht ohne die Gesamtkirche beschritten werden. Der Brief drängt geradezu auf diese Perspektive, wenn es heißt: „Es geht um das Leben und das Empfinden mit der Kirche und in der Kirche, das uns in nicht wenigen Situationen auch Leiden in der Kirche und an der Kirche verursachen wird. Die Weltkirche lebt in und aus den Teilkirchen, so wie die Teilkirchen in und aus der Weltkirche leben und erblühen; falls sie von der Weltkirche getrennt wären, würden sie sich schwächen, verderben und sterben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten“ (Nr. 9).

Papst Franziskus erinnert uns daran, dass der Glaube der Teilkirchen immer im Glauben der ganzen Kirche verortet ist und verortet bleiben muss. Es kann und darf auf Dauer in grundlegenden Fragen des Glaubens und der Moral keine unterschiedlichen Wege geben, die das hohe Gut der Einheit, die wir im Credo als Attribut der Kirche bekennen, nicht nur gefährden, sondern möglicherweise verletzen würden. Die Maßgaben des Glaubens, die zum unveränderbaren Bestand kirchlicher Lehre gehören, können und dürfen deshalb im Synodalen Weg nicht zur Disposition gestellt werden. Allein der Eindruck darf nicht vermittelt werden, es ginge um eine quasi-parlamentarische Abstimmung über den Glauben. Wenn wir nun innerlich denken, darum geht es ja auch nicht, dann stehen dazu aber nicht wenige Aussagen und formulierte Empfindungen unter den Gläubigen, in den ersten Arbeitspapieren der Synodalforen und vor allem in den Medien in Widerspruch. Denn der Eindruck ist an manchen Stellen entstanden, als ginge es um eine Neuausrichtung vieler grundlegender Aspekte des Glaubens.

Davor warnt der Papstbrief nachdrücklich, ähnlich wie es Papst Franziskus jüngst gegenüber den griechisch-katholischen Bischöfen der Ukraine getan hat, indem er sagte, dass eine kirchliche Synode nicht das Erzielen einer Übereinkunft wie in der Politik anziele.[6] In ihr gehe es um das Erkennen dessen, was im Glauben gedacht wird und welche Folgerungen für das konkrete Leben und die Glaubens-Praxis gezogen werden können. Natürlich hebt der Papstbrief zugleich heraus, dass dies nicht bedeutet, „nicht zu gehen, nicht voranzuschreiten, nichts zu ändern und vielleicht nicht einmal zu debattieren und zu widersprechen“ (Nr. 9). Doch dies muss im Bewusstsein geschehen, so formuliert er, „dass wir wesentlich Teil eines größeren Leibes sind, der uns beansprucht, der auf uns wartet und uns braucht, und den auch wir beanspruchen, erwarten und brauchen. Es ist die Freude, sich als Teil des heiligen und geduldigen treuen Volkes Gottes zu fühlen“ (Nr. 9).

Papst Franziskus bringt diese universalkirchliche Durchdringung des Synodalen Weges zusammen, indem er den Begriff vom „Sensus Ecclesiae“ prägt. Dieser Sinn der Kirche und für die Kirche bewahrt uns davor, das eigene Denken zum Maßstab zu setzen, eigene Gedanken zu verabsolutieren und sich letztlich über das Wort des Herrn zu stellen. Wie können wir diesen „Sensus Ecclesiae“ beschreiben? Er ist gleichsam ein glaubender und kirchlicher Ausdruck der Demut, die weiß, dass ich aus mir selbst heraus im Glauben nichts bin und nur durch den liebenden Anblick des Herrn zu einem lebendigen und fruchtbaren Glied des Volkes Gottes erwachsen kann. So befreit uns der „Sensus Ecclesiae“ nach Papst Franziskus „von Eigenbrötelei und ideologischen Tendenzen, um uns einen Geschmack dieser Gewissheit des Zweiten Vatikanischen Konzils zu geben, als es bekräftigte, dass die Salbung des Heiligen (vgl. 1 Joh 2,20. 27) zur Gesamtheit der Gläubigen gehört“ (Nr. 9).

Nicht zufällig warnt der Heilige Vater dabei zugleich vor einer Tendenz, die mir für Deutschland typisch zu sein scheint, „diese alte und immer neue Versuchung der Förderer des Gnostizismus [...], die, um sich einen eigenen Namen zu machen und den Ruf ihrer Lehre und ihren Ruhm zu mehren, versucht haben, etwas immer Neues und Anderes zu sagen als das, was das Wort Gottes ihnen geschenkt hat“. Und Papst Franziskus wird noch deutlicher, „gemeint ist damit derjenige, der voraus sein will, der Fortgeschrittene, der vorgibt über das ‚kirchliche Wir‘ hinauszugehen, das jedoch vor den Exzessen bewahrt, die die Gemeinschaft bedrohen“ (Nr. 9).

Auf den Punkt gebracht: Von Schnellschüssen rät der Heilige Vater ausdrücklich ab und mahnt stattdessen zu behutsamen, langfristigen und entsprechend tiefgreifenden Reformprozessen einer geistlichen und evangelisierenden Erneuerung, „die uns als Volk Gottes aufbauen, statt nach unmittelbaren Ergebnissen mit voreiligen und medialen Folgen zu suchen, die flüchtig sind wegen mangelnder Vertiefung und Reifung oder weil sie nicht der Berufung entsprechen, die uns gegeben ist“ (Nr. 3).

Liebe Mitbrüder, lasst mich in einem zweiten kürzeren Schritt ein Resümee aus den Impulsen unseres Heiligen Vaters in Form von konkreten Konsequenzen ziehen, die sich daraus für die Zukunft des Synodalen Weges ergeben.

2.     Konsequenzen für den Synodalen Weg

2.1   Inhaltliche Neuausrichtung der Synodalforen

Der von uns beschlossene Synodale Weg ist nach Auffassung von Papst Franziskus ein richtiges und wichtiges Instrument auf dem Weg zu einer geistlichen Erneuerung der Kirche. Dabei müssen wir mit Augenmaß und nicht zuletzt in der Kraft des Heiligen Geistes unterscheiden, was uns in unserer evangelisierenden Sendung als Kirche im Wege steht und uns deshalb die Sicht auf das Eigentliche kirchlicher Existenz versperrt, und dem, was uns in dieser vom Herrn übertragenen Aufgabe wirklich trägt und stützt. Das heißt für mich vor allem, die bislang überbetonte Konzentration auf Strukturfragen, aber auch den teilweise damit verbundenen Eindruck, es gehe damit zugleich um das Verändern von Glaubensinhalten, aufzubrechen. Vielmehr muss es uns um eine in Umfang und Intensität beachtenswerte geistliche Initiative gehen. Die schon beschlossenen Foren allein leisten das nicht. Im Gegenteil. Ich plädiere nachdrücklich für die im alternativen Statutenentwurf mit Bischof Voderholzer vorgelegten Themen der Synodalforen, die uns von Anfang an auf die richtige Spur setzen und dem „Primat der Evangelisierung“ entsprechen.

2.2   Qualifizierung des Synodalen Weges als Beratungsgremium

Wenn wir die Worte von Papst Franziskus zur echten Synodalität ernst nehmen und zugleich die Anmerkungen des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte bedenken, die beide von der ekklesiologischen Polarität von Beratung und Erarbeitung einer Entscheidung einerseits und der bischöflich begründeten Umsetzung einer Entscheidung andererseits sprechen, müssen wir dem Synodalen Weg mittels des Statuts aufrichtigerweise das ihm zukommende ekklesiologische Format geben. Ich plädiere daher auch hier nachdrücklich für die im alternativen Statutenentwurf angelegte Struktur, die in der Präambel ausdrücklich benannt wird. Der Synodale Weg ist demzufolge ein Beratungsgremium, dessen Voten von den Bischöfen in der Bischofskonferenz mit Rechtskraft versehen werden bzw. werden können. Dazu bietet das alternative Statut einen einwandfreien Weg, der die unterschiedlichen Verantwortungsebenen – Beratung, Ausarbeitung und Entscheidung – zweifelsfrei beachtet. Ebenso muss in diesem Zusammenhang gemäß Papst Franziskus darauf geachtet werden, dass das Gottesvolk in weitestgehendem Maße in der Synodalvollversammlung und meines Erachtens auch in den Synodalforen repräsentiert ist.

2.3   Stärkung der universalkirchlichen Perspektive

Papst Franziskus weist darauf hin, dass der Synodale Weg vom „Sensus Ecclesiae“ erfüllt sein muss, um nicht in einen Partikularismus abzugleiten. Das Drängen des Papstes, das Volk Gottes in Deutschland möge in der Einheit mit der Universalkirche verbleiben, macht deutlich, welch großes Spaltungsrisiko der Synodale Weg in seiner derzeitigen inhaltlichen und formalen Ausrichtung in sich trägt. Mir ist das kürzlich – wie Ihr wisst – während eines Besuchs in der Katholischen Kirche der USA besonders bewusst geworden. Häufiger hat man mir während dieser Reise die Sorge vor einem deutschen Sonderweg vermittelt, der schlimmstenfalls hin zu einer deutschen Nationalkirche führen könnte.

Natürlich beruhigt es mich zu einem gewissen Grad, wenn ranghohe katholische Laien nun versichern, niemand strebe dies an. Die im selben Atemzug vorgebrachte Forderung, eine universalkirchlich verbindliche, autoritative dogmatische Definition, die laut Glaubenskongregation unfehlbar ist, über kurz oder lang zur Disposition zu stellen, nagt allerdings kräftig an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage und stimmt mich doch etwas skeptisch. Auf diesem Hintergrund bitte ich Euch, mir nachzusehen, dass ich gemeinsam mit dem Heiligen Vater nochmals davor warne, einen inhaltlichen und auch formalen Sonderweg einzuschlagen, der uns aus dem weltweiten Leib Christi ausscheren ließe. Angesichts unserer Einbindung in den Glauben der Universalkirche, deren Integrität nicht zuletzt wir selbst im bischöflichen Amt dienen, schließt eine Verhandlung und eine Abstimmung über Glaubensfragen aus. Das gilt auch hinsichtlich der kirchlichen Disziplin, soweit diese in den gesamtkirchlichen Kontext eingebettet ist.

Nehmen wir den Papst wirklich ernst! Er stellt uns erneut unsere Gabe und Aufgabe vor Augen, die darin besteht, dass wir die Freude am Evangelium in die Welt hinaustragen dürfen und sollen. Das setzt einen nüchternen Blick auf die Gestalt der Katholischen Kirche in Deutschland und auf die herrschende Glaubenskrise voraus, der aber nicht zur Nabelschau geraten darf. Wir brauchen keinen aufgeregten Aktionismus, sondern die Gelassenheit aller, die ganz auf Christus setzen. Entscheidend ist es, dass die Kirche in Deutschland mit Wort und Tat zeigt, wie schön es ist, im Angesicht des Herrn zu leben, zu wissen, dass Er uns begleitet und umgibt: „Denn die Freude am HERRN ist unsere Stärke“ (Neh 8, 10).

______________________

[1] Papst Franziskus, Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ (29.06.2019), in: L’Osservatore Romano (deutsch), Nr. 28 vom 12.07.2019, S. 7-9, hier Nr. 7

[2] Joseph Ratzinger, Evangelisierung, Katechese und Katechismus, in: JRGS 9/2, Regensburg 2016, 1035 f.

[3] Vgl.  Papst  Franziskus, Ansprache bei  der  aus  Anlass des  Ad-Limina-Besuchs gewährten Audienz für  die deutschen Bischöfe (20.11.2015), in: L’Osservatore Romano (deutsch), Nr. 48 vom 27.11.2015, S. 6

[4] Papst Johannes Paul II, Enzyklika Sollicitudo rei socialis vom 30.12.1987 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 82.

[5] Papst Johannes Paul II, Enzyklika Sollicitudo rei socialis vom 30.12.1987 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 82.

[6] Papst Franziskus, Ansprache an die Bischöfe der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche vom 02.09.2019, in: L’Osservatore Romano (deutsch), Nr. 36 vom 06.09.2019, S. 3.


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